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Kultur: Kreisch!

Viktorianische Vibratoren: „In guten Händen“.

Kinder, was haben wir es gut! Wir haben Krankenhäuser und elektrischen Strom, wir haben Telefon und Gynäkologen, wir haben Antibiotika, Familienfürsorge und Hebammen. Wir haben Fahrräder, auch für Frauen! Und wir haben Vibratoren! Auch für Frauen! Tanya Wexlers Film „Hysteria“, dem der dümmliche deutsche Verleihtitel „In guten Händen“ auch nicht schaden kann, besteht sozusagen aus lauter Ausrufen, ist laut und ordinär. Und das ist umso ärgerlicher, als es angeblich um große und kleine Erfindungen des 19. Jahrhunderts geht und um nichts Geringeres als die Aufarbeitung europäischer Sozialgeschichte.

Alles aber, was den Filmemachern dazu einfällt, ist Klamauk und Kolportage; Geschichte ist lediglich Fundus für schale Witze, huch, es sprühen Funken, wenn man mit Elektrizität experimentiert; oh, ein Pionier der Fernsprechtechnik schreit in den Hörer. Dabei soll eigentlich von der Befreiung hysterischer Frauen durch den Vibrator erzählt werden. Zuerst allerdings kommen sie in Scharen in die Praxis eines Londoner Gynäkologen, der ihre Klitoris stimuliert. Das war tatsächlich Ende des 19. Jahrhunderts eines der – meist sehr viel drastischeren – Verfahren, mittels derer man bürgerliche Frauen von der Hysterie genannten Krankheit, deren Opfer sie zunehmend wurden, kurieren wollte. Der Arzt stellt einen jungen Gehilfen (Hugh Dancy) an, und der erfindet mithilfe eines technikaffinen, reichen Gönners (Rupert Everett) den Vibrator. Zwei Arzttöchter gibt es auch noch, die eine zu-, die andere aufgeknöpft. Welche von ihnen die sozial engagierte Frauenrechtlerin ist und trotzdem den Gehilfen heiraten darf, wird erst am Schluss verraten.

Vorher sieht man sehr viele Frauen in Nahaufnahme, die verzückt die Augen verdrehen oder gar zu singen beginnen, wenn der alte oder der junge Arzt sie – schwer arbeitend – manuell zum Höhepunkt bringen. Ach, so sieht ein weiblicher Orgasmus aus! Lustig. Und ist es nicht zum Schreien komisch, dass der junge Mann vor lauter Handarbeit eine Sehnenscheidenentzündung bekommt? Hugh Dancy grimassiert, Maggie Gyllenhaal, Darstellerin der aufmüpfigen Tochter, reißt die Augen auf, und der sonst ironisch-sublime Rupert Everett ist vollkommen abwesend.

Knallende Türen, klappernde Schritte, künstliche Aufregung, zuckriger Soundtrack: Hysterisch ist die Inszenierung; vielleicht muss ein Film, an dem 15 Produktionsfirmen aus mehreren europäischen Ländern beteiligt sind, so aussehen. Ein Film, so möchte man sich zur Ehrenrettung der Filmemacher wenigstens vorstellen, der ein einziger Kompromiss zur Befriedigung aller Geldgeber ist. Kein Film wäre in diesem Fall die bessere Lösung gewesen. Daniela Sannwald

In neun Kinos; OV Cinestar Sony-Center; OmU: Babylon Kreuzberg, Central

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