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Kultur: Kreuz aus Stein

Buddhismus statt Christentum: Kim Ki-duks „Frühling, Sommer, Herbst, Winter und ... Frühling“

„Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling“ ist die Parallelaktion zu Mel Gibsons „Passion Christi“. Man könnte es – wenigstens einen Moment lang – so sehen. Buddhismus gegen Christentum. Und der Buddhismus gewinnt. Jedenfalls im Kino. Meditation statt Kreuzigung. Oder akademisch gesagt: „Eingedenken der Natur im Subjekt“ statt Glaubenskampf. Denn wo kein Erlöser ist, muss man sich auch nicht um die Beseitigung der falschen Erlöser kümmern. Insofern ist der Buddhismus eine sehr demokratische Religion: Für seine Erlösung ist jeder selbst verantwortlich.

Allerdings gibt es einen Punkt – und es ist auch der kritische in „Frühling, Sommer ...“ –, an dem auch der Buddhismus nervt: Warum muss der mythische Kreislauf der Natur, das ewige Werden und Vergehen, die höchste Wahrheit über uns selber sein? Das Schöne an guten Filmen ist, dass sie immer viel klüger sind als wir. Weil sie statt einer These immer gleich mehrere haben. Wie das Leben selbst. Wie „Frühling, Sommer ...“.

Religiöse Filme sind symbolische Filme. Der Westen hat wenig Talent für symbolische Filme. Zu Recht. Denn ein symbolischer Film, der die Macht der Symbole voraussetzt, ist unerträglich. Siehe Gibson. Und wer uns eine Parabel erzählen will, hat schon verloren? Kim Ki-duk will es durchaus. Nur einem Asiaten konnte gelingen, was dem Südkoreaner Kim Ki-duk hier gelang. Im Abendland wartet man nach jeder These auf die Begründung. Das ist auch so eine schlechte Angewohnheit. Wahrscheinlich liegt es an einem elementaren Rhythmusgefühl. Zuletzt ist alles in diesem Film Rhythmus. Außerdem ist „Frühling, Sommer ...“ höchstens insofern ein buddhistischer Film, als er kein buddhistischer Film ist. Man nennt das weltanschauliche Offenheit.

Mönche sind in der Disziplin der Selbsterlösung am weitesten fortgeschritten. Überall und immer legte und legt man zu diesem Zweck einen größtmöglichen Abstand zwischen sich und die Geschäftigkeit der Welt. Am schönsten für das Kino ist, wenn sich dieser Abstand auch noch anschauen lässt.

Ein kleines Tempelhäuschen aus Holz liegt in der Mitte eines schönen Sees. Jedes Wasser hat Nirvana-Qualität, und Kim Ki-duks Mönch besitzt das schönste Privatkloster, das sich denken und fotografieren lässt. Er lebt allein mit einem kleinen Jungen mitten im See. Die beiden reden nicht viel miteinander. Worüber auch? Unsere Psychologen würden sich fragen, welche frühkindlichen Traumata ein kleiner Junge davonträgt, der seine ganze Kindheit hindurch nichts anderes sieht als einen See und einen alten weltflüchtigen Mönch.

Kim Ki-duk geht einen anderen Weg. Den des Kinos. Seine statischen, ritualisierten Bilder fangen ein statisches ritualisiertes Leben ein – und darin die eigentümliche Poesie, wie sie aus den Augenblicken kommt, wo Selbst und Welt übereinstimmen. Wer solche Augenblicke zu Ewigkeiten machen kann wie der Mönch, hat auf vieles verzichtet. Auf das Leben zum Beispiel. Denn die Ausbrüche des Lebens sind jähe Rhythmusänderungen. Und sein Wesen: Gewalt und Vernichtung. Kim Ki-duk versteht sich auf beides kaum weniger als Gibson. Alle seine frühen Filme handeln davon. Hier ist die Gewalt nur eine Andeutung. Die Rückseite des Spiegels. Und schon da, wenn das Kind zu spielen beginnt. Im Frühling. Selbsteroberung als Welteroberung.

Kleine Kinder sind schlechte Selbsterlöser. Sie greifen mit beiden Händen nach dem Leben statt es weise loszulassen. Und darf nicht, wer sonst kein Spielzeug hat, einen Fisch einen Stein ziehen lassen? Frösche mit umgebundenen Steinen sind auch sehr lustig. Der Junge schläft tief nach diesem verspielten, durchlachten Tag am Ufer. Am nächsten Morgen wacht er mit einem Stein auf dem Rücken auf. Der Mönch hat eine eher nonverbale Art, seine Lehren zu erteilen. Jedes normale mitteleuropäische Kind würde sich solche Erziehungsmethoden verbitten, aber dieser Kleine trägt sein Kreuz, das ein Stein ist und lernt seine erste Lektion: Tat twam asi. Das bist auch du. Dieser Fisch zum Beispiel.

Doch soviel einer auch lernt: Vor dem Leben schützen lässt er sich nicht. Denn nichts bewahrt einen davor, erwachsen zu werden. Und nichts vor dem Sommer. Vor der Liebe. Jeder tötet, was er liebt. Das sind nicht nur Einsichten später dekadenter Dichter, Kim Ki-duk zeigt es uns als archaisches Ur-Erlebnis. Wenn einer anfängt, durch den anderen zu atmen, durch ihn zu reden und durch ihn zu träumen – hat dieser andere noch das Recht, wegzugehen? So zu tun, als sei er wirklich, was er nur scheint: ein Einzelner?

Also wird auch der Junge töten, was er liebt. Und wird daran ein anderer werden. Den Winter hat er noch vor sich. Und ein anderer wird einen Frühling haben. Man kann fremde Frühlinge begleiten, vielleicht ...

Die Weisheit des Buddhismus ist der Kreislauf des Lebens. Kim Ki-duks Botschaft ist der Kreislauf. Westeuropäer sind strukturelle Kreislaufverächter, und sie haben Recht. Es gehört zur Aufklärung, nicht zu glauben, dass der Kreislauf alles ist. Dass, was entsteht, wirklich wert ist, dass es zugrunde geht. Und doch liegt auch unsere Krise darin, dass wir das Rad des Lebens zerstören: in unserer Rhythmusvergessenheit, die Selbstvergessenheit ist.

Delphi, International, Odeon

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