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Kultur: Kreuz und queer

Umkämpfte Freiheiten:Zwei Dokumentationen im PANORAMA über den schwullesbischen Alltag

Positive Rollenmodelle für Schwule und Lesben gab es im Kino über Jahrzehnte hinweg nicht zu sehen. Sofern sie überhaupt in Erscheinung traten, waren sie Mörder oder Selbstmörder. Über Schwule durfte manchmal gelacht werden, und wenn sie neutral dargestellt wurden, war das schon eine Sensation. Der Dokumentarfilm „The Celluloid Closet“ (1995) hat die Höhe- und Tiefpunkte dieser Diskriminierungsgeschichte zusammengetragen. Inzwischen ist eine neue Zwischenbilanz fällig: Seit 1977 gibt es lesbisch-schwule Filmfestivals und dementsprechend viele authentische Selbstdarstellungen. Grund zum Jubel, aber auch zur Kritik, denn jetzt wird mit umgekehrten Vorzeichen diskriminiert. Im New Queer Cinema sind heterosexuelle Männer bedrohlich, komisch oder langweilig, während die Funktion der Frau sich darauf beschränkt, den Mann in seinem Schwulsein zu bestätigen. Ein weiteres Manko ist die behauptete moralische Überlegenheit.

André Schäfers Dokumentarfilm „Schau mir in die Augen, Kleiner“ kritisiert diese Tendenz indirekt. Er lässt zwar ein paar Biedermänner und -frauen zu Wort kommen, hat aber auch ein Herz für Unruhestifter. John Waters gibt sexualpolitisch unkorrekte Sätze von sich wie „Es hat mehr Spaß gemacht, als es noch verboten war“. Ausführlich wird an Fassbinder erinnert, der wegen seiner schonungslosen Milieustudie „Faustrecht der Freiheit“ Hausverbot in schwulen Bars erhielt. Schäfer gibt Künstlern von Weltrang – Tilda Swinton oder Gus Van Sant – ebenso viel Raum wie minder begabten Berufsschwulen. Das funktioniert, da man die Qualitäten des New Queer Cinema nicht ohne dessen Mängel würdigen kann. Schade nur, dass Lesben klischeehaft repräsentiert werden: ohne Humor, ohne Glamour. Es fehlt ein Bad Girl wie Monika Treut.

Ein neidisches Regisseursduo aus Frankreich darf noch gegen „Brokeback Mountain“ wettern, weil Regie, Drehbuch und Hauptrollen in Hetero-Händen gelegen haben: Das sei doch kein richtiger Schwulenfilm. Soll man diese Beschwerde ernst nehmen? Eher nicht, denn jüdische Organisationen hatten nie Probleme damit, dass Anne Frank und Simon Wiesenthal im Film von Nichtjuden verkörpert werden. Fragen über Fragen – gut, dass André Schäfers Film sie aufwirft.

Ganz andere Sorgen haben Moskauer Schwule und Lesben, die für ihre Rechte auf die Straße gehen. Sie werden mit einem aggressiven Mob konfrontiert, bei dem Neonazis und Polizisten kaum zu unterscheiden sind. Angefeuert werden sie von alten Muttchen, die Pappschilder hochhalten: „Moskau ist nicht Sodom“. Die homophoben Ausschreitungen vom Mai 2006 haben in den deutschen Medien Beachtung gefunden, weil der Bundestagsabgeordnete Volker Beck blutig geschlagen wurde. Vladimir Ivanovs Dokumentarfilm „Moskva. Pride ’06“ stellt packende, schockierende Aufnahmen von dieser Aktion zusammen. Entbehrlich: die Vorträge der ausländischen Aktivisten. Wen interessieren Berichte über schwules Mountain Climbing in Norwegen? Lieber hätte man mehr über die Lebensbedingungen der Moskauer erfahren.

„Schau mir in die Augen, Kleiner“: Heute 20 Uhr (Cinestar 7), 16. 2., 14.30 Uhr (Cinestar 7). „Moskva. Pride ’06“: Heute 14.30 Uhr (Cinestar 7)

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