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Kultur: Krieg der Frauen

In den Straßen Kabuls: „Fünf Uhr am Nachmittag“ erzählt das Drama eines Aufbruchs

In der Koranschule singen die Kinder: „Sag gläubigen Männern, ihre Augen vor den Frauen zu verschließen und ihre Begierde zu zügeln.“ Auf der Straße drehen sich Männer zur Wand, wenn sie einer unverschleierten Frau ansichtig werden, und murmeln: „Gott vergebe mir meine Sünden.“ Und der Vater der schönen Noqreh, der mit seinem Klepperkarren Leute von hier nach dort fährt, lässt junge Frauen kurzerhand absteigen, wenn sie mitten im Sand- und Felsennirgendwo lachend ihre Schleier aufgeschlagen haben. „Warum nehmt ihr den langen Weg zur Hölle, wenn ihr den kurzen Weg zum Himmel nehmen könnt?“

Afghanistan, Stunde Null. Die Taliban sind weg, nicht aber ihr böser Geist. Er nistet in den Köpfen alter Männer, die die alltägliche Totalmumifizierung der Frauen bei lebendigem Leibe für gottgefällig halten. Und er nistet in den Köpfen der jungen Frauen, die sich noch immer unterwerfen: ihren Männern, ihren Vätern, einer archaischen, das öffentliche Leben eisern umschließenden Strenge. Afghanistan, Stunde Null, und nichts hat sich geändert in den Straßen Kabuls: nur dass die gesichtslosen Frauenkörper, diese Gespenster in blassblauen Burkas, jetzt zwischen Ruinen umhergehen.

Einen tief pessimistischen Film hat die 23-jährige Iranerin Samira Makhmalbaf mit ihrem letztes Jahr in Cannes uraufgeführten Werk „Fünf Uhr am Nachmittag“ gedreht, scheinbar ganz gegen ihre anfängliche Absicht. Denn die junge Noqreh (Aghele Rezaie), die zusammen mit ihrer Schwägerin und deren Kind in der Obhut des streng konservativen Vaters (Abdolgani Yousefrazi) aufwächst, unterläuft zunächst das väterliche Regiment, bricht zunächst aus und auf. In grauen Latschen geht sie brav in die Koranschule, um am Eingang das staubige Schuhwerk gegen weiße Damenschuhe mit Absätzen zu tauschen – und in eine echte Schule zu gehen: mit einer kraftvollen, zum Mut inspirierenden Lehrerin und unverschleierten Mitschülerinnen. Unverschleiert sind sie zumindest im Unterricht.

Als von Berufswünschen die Rede ist, traut sich Noqreh sogar zu, eines Tages die erste Präsidentin Afghanistans zu werden. Rührende Noqreh: Nichts weiß sie vom Reden, von Politik, vom Draußen und vom Leben.

Doch je weiter die obdachlose Rumpffamilie ziehen muss – der Vater des Babys wird seit den letzten Kriegswirren vermisst –, von Häuserresten zu Flugzeugwracks und in die Ruine eines Regierungspalasts, desto mehr verliert der Film seine Vitalität. Ein junger Dichter (Razi Mohebi), der Noqreh sehr sanft den Hof macht und ein bisschen Hoffnung auf eine große Zukunft auch, verschwindet, wie er gekommen ist: ein Zufall in Noqrehs Leben, vielleicht nur ein Traum. Ihre Schrittübungen wiederum, feste Schritte heimlich in den weißen Damenschuhen, verhallen in den Riesenkorridoren der Palastruine. Und irgendwann hat der störrische Vater, von Todesnachricht zu Todesnachricht, die beiden jungen Frauen ganz aus dem Sündenpfuhl der Stadt hinausgezogen in die Berge, in denen der Hunger- und Dursttod lauert: ein Familien-Selbstmordkommando. Hauptsache wohl, man opfert sich dem rechten Glauben.

Eine seelenlichtlose Elegie unter freiem Himmel ist, aufs Ganze gesehen, dieser „Fünf Uhr am Nachmittag“, das düsterste Werk in der jungen Filmografie Samira Makhmalbafs („Der Apfel“, „Schwarze Tafeln“). Am ehesten lässt sich der Film, dessen Erzählstruktur nach realistischem Beginn unmerklich ins Assoziativ-Meditative hinübergleitet, als Diagnose einer zerschundenen Weltgegend lesen: gestern Afghanistan, heute Irak und morgen womöglich Iran. Jener Mittlere Osten, gegen den die Amerikaner im Namen der Demokratie Krieg führen und der auch deshalb sein ideologisches Mittelalter immer tiefer ausbrütet, fermentiert zum Krankheitsherd der ganzen Welt – schließlich klammern sich die Menschen in Not und Tod nur noch heftiger an das, was ihnen weggenommen zu werden droht.

„Fünf Uhr am Nachmittag “ schreit gegen diese Krankheit zum Tode an. Oder sollte man sagen: Er singt? Immer leiser?

Kino in der Kulturbrauerei, OmU im Broadway, fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe

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