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Kultur: Krieg im Gnadenort

Andreas Altmann erinnert sich an seine „Scheißjugend“ in Altötting

Ein Reporter schreibt ein Buch über den Krieg. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ein Autor schreibt über seine Kindheit. Auch das kennt man. Selbst über eine Kindheit im Krieg und in Trümmersommern wurde schon oft geschrieben. Der Reisereporter Andreas Altmann aber erzählt in seinem neuen Buch von einer Jugend im Dauerzustand eines Krieges, dessen Demarkationslinie in den eigenen vier Wänden lag. Es ist seine Geschichte. Aber vor allem die seines Vaters, einem Devotionalienhändler im Gnadenort Altötting: Franz Xaver Altmann hat den Zweiten Weltkrieg überlebt, seine Menschlichkeit aber in den Schützengräben zurückgelassen. Nun beginnt er eine lebenslange Schlacht an der Heimatfront.

Andreas Altmann, heute 61 Jahre alt, ist eine rastlose Diva, ein Getriebener, dessen Blick auf die Welt immer auch einer in den Spiegel ist. Ein Mann, der nicht zu altern scheint, den die vermeintliche Zeitlosigkeit des sorgfältig kultivierten Narziss umgibt. Bei Altmann, der am Mozarteum in Salzburg Schauspiel studiert hat, ist jede Geste eine Inszenierung des Ichs. Seine Geschichten und Reportagen setzen diese Inszenierung fort: Reisen an wütende Orte, in Junkie-Höllen und auf einsame Kontinente – immer dreht sich die Welt um Altmann selbst. Zugleich aber offenbaren die Texte eine kaum zu stillende Sucht nach Abenteuer, wenn Altmann das Leben einatmet, als drohe er jeden Moment zu ersticken.

Nach der Lektüre seiner Reportage-Bücher stellt sich die Frage, was eigentlich passieren muss, dass einer so wird, wie er ist. Nun hat Altmann diese Frage beantwortet. In „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ begibt er sich auf seine persönlichste Reise, ins Herz der Finsternis. Altötting. Oberbayern. Wallfahrtsort. Hassprovinz.

Entstanden sind Aufzeichnungen aus einem Horrorloch hinter einer mit frommer Gutbürgerlichkeit getünchten Fassade, „wo Krieg herrschte oder eisige Waffenruhe“. Altmann schildert einen Alltag, in dem es zwischenmenschliche Berührungen nur in den gnadenlosen Momenten körperlicher Züchtigung gibt – und eine Vater-Sohn-Beziehung, die einem Boxkampf gleicht. Denn Franz Xaver Altmann, „die SS-Null, der Alle-Hasser“, ist ein zwangsneurotischer Sadist, der seine Frau in die Inkontinenz und aus dem Haus treibt und schließlich den jüngsten Sohn als Sandsack entdeckt.

Altmanns Buch ist aber keineswegs nur eine Abrechnung mit seinem Vater und dessen „Delirien von Drill und Ordnung und Gnadenlosigkeit“, sondern auch eine Anklage an die katholische Kirche. Unter deren klinisch weißer Albe religiöser Moral konnten jene Abgründe und Sadismen gedeihen, die in Altötting, dieser „Oase bigotter Inzucht“, ihr scheinbares Epizentrum gefunden hatten.

Andreas Altmann ist vor zwei Jahren noch einmal an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt, hat ehemalige Klassenkameraden getroffen und Unterlagen eingesehen. Nun zeichnet er das Sittenbild einer nachkriegsdeutschen Gemeinde, die bevölkert wird von weihrauchschwenkenden Päderasten und Lehrern, die mit hochroten Gesichtern und der Gerte in der Hand im Namen des Herrn ihre Dogmen in die Kinder prügeln. „Das waren Lehrer, die waren voller Hass. Darüber, dass wir Deutschland verloren hatten, dass es keinen Nationalsozialismus mehr gab und darüber, dass sie nur so kleine geschissene Lehrer waren“, erinnert sich Andreas Altmann, der bewusst mit Klarnamen arbeitet. Sein Augenzeugenbericht soll nicht verwässert werden durch den Akt der Verfremdung.

Dafür hat er diese Geschichte zu lange mit sich herumgetragen. Vier Jahrzehnte musste der Vaterhass in ihm gären, sich in ihm setzen, ehe er den Rotz spürte, den es brauchte, um ihn auf die Seiten zu spucken. Das Buch lebt nicht zuletzt von seinem Nachwort, dem Epilog eines Mannes, der noch einmal davongekommen ist. Altmann musste erst ankommen, im Leben, bei sich selbst, nach Jahren, in denen er ziellos durch die Welt geirrlichtert ist und schließlich zu einem weltatmenden Reporter wurde. Nur so konnte es ihm gelingen, mit dem Abstand eines Emigranten, aus der Weite der Welt in die Enge der Heimat zu schauen. Allerdings will er auch jetzt noch, „dass mein Vater aufersteht und sieht, dass aus mir etwas geworden ist. Und ich von ihm, dem obersten Richter, anerkannt werde.“ Trotz seines Erfolges, seiner Reisen, seiner 61 Jahre, ist Altmann vor allem eines geblieben: Der Sohn seines Vaters, mit den Wünschen eines Kindes.

Andreas Altmann: Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend. Piper, München 2011. 256 Seiten, 19,99 €

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