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Kultur: Krieg und Frida

Moritz de Hadeln schimpft, Salma Hayek betört als Revolutionärin: zur Eröffnung der 59. Filmfestspiele Venedig

Von Jan Schulz-Ojala

Ein bisschen kurios tönt das schon – aber was klingt nicht kurios in diesen turbulenten ersten Tagen dieses Festivals? Ausgerechnet im Katalogvorwort, sonst eher Hort salbungsvoller Moderationen, schreibt Moritz de Hadeln, die Filmfestspiele von Venedig seien „eine alte Dame, die dringend geliftet werden muss“. Nicht gerade diplomatisch, wie der letztes Jahr ausgemusterte oberste Tanzbär der Berlinale sich und sein allerneuestes Projekt in Szene setzt. Aber hat er nicht erstens Recht, und ist der 61-Jährige nicht zweitens berühmt für seinen Mangel an diplomatischer Verbindlichkeit? Und ist nicht drittens das vornehme Leisetreten das Letzte, was das Festival brauchen kann?

Machen wir den Umkehrschluss: Alberto Barbera, der renommierte Chef der letzten Jahre, war ein entschiedener, aber diskreter Mann. Genützt hat’s ihm gar nichts. Die Regierung Berlusconi, die die immer noch halbstaatliche Biennale so vehement beherrscht, wie sie sich derzeit die Justiz und die Medien gefügig macht, hat den linken Barbera und seinen noch diplomatischer wirkenden Biennale-Vorgesetzten Paolo Baratta vergangenen Winter in die Wüste geschickt. Moritz de Hadeln dagegen, der als Rettungssanitäter des Festivals zunächst für ein Jahr verpflichtet wurde, handelt nach der Maxime: Du hast keine Chance, also nutze sie. Und er nutzt sie durchaus mit eigenem Geschick. Lustvoll und lautstark tritt er in jedes Fettnäpfchen, das ihm Berlusconi-Freunde und Berlusconi-Gegner, Kunstfilmfans und Filmindustrielle hinhalten. Und bekleckert dabei prompt eher die anderen als sich selber.

Gut gebrüllt, Löwe

Kulturminister Urbani, am Donnerstag abend bei der Eröffnung ebenso wenig zugegen wie schon im letzten Barbera-Jahr, lässt verlauten, er verbitte sich gute Ratschläge von „Ausländern“ zur nötigen Strukturreform der Biennale. De Hadeln, erster ausländischer Chef des Filmfests seit dessen Gründung unter Mussolini und der italienischen Rechten entsprechend suspekt, kontert kühl: Der neue Biennale-Leiter Franco Bernabè habe ihm schon angeboten, weiterzumachen, so lange er will. Und wie steht’s mit De Hadelns allerseits forsch aus einem „Corriere della sera“-Interview herausgegriffenen Wort, der Goldene Löwe sei nichts mehr wert? Nun, de Hadeln beruft sich da auf amerikanische Produzenten – und benennt eine in Italien derzeit heftig diskutierte Sorge: Dass Venedig, einst die Nummer Zwei hinter Cannes und heute einigermaßen abgeschlagen hinter einer prosperierenden Berlinale, bald in die „Serie C“, also Feld-, Wald- und Wiesenliga, absteigen könnte.

Der Beleg allerdings, den de Hadeln anführt, entwertet seine eigene Kritik. „Zufällig“ und, Gott bewahre, „esoterisch“ haben die Jurys der letzten Jahre ganz gewiss nicht entschieden, die etwa Takeshi Kitanos „Hana-bi“ oder Jafar Panahis „Der Kreis“ auszeichneten. Venedig mag – anders als seinen beiden großen Konkurrenten – ein Filmmarkt fehlen und damit ein vitaler Treffpunkt der Einkäufer; Festivaljurys aber haben nicht den Job, das Gängigstmögliche aufs Podest zu heben, sondern das wunderbare Abenteuer der Filmkunst zu popularisieren. Andersherum gefragt: Welche Chance, welche Initialzündung hätten manche Filme und ihre großartigen Regisseure im heute so reglementierten Kino, wenn die Goldenen Palmen, Bären und Löwen nicht wären?

Ungeachtet all der Polemiken, die das Festival ganz vorzüglich ins Gespräch bringen, hat es am Donnerstag tatsächlich begonnen. Und siehe da, durchaus glanzvoll. Julie Taymors „Frida“, die Bilderbogen-Biografie der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, mag zwar nicht gerade ein Abenteuer der Filmkunst sein – ein gut gemachtes Stück Kino ist es allemal. Seit 15 Jahren schon verfolgt die Mexikanerin Salma Hayek den Traum, eines Tages ihre große Landsmännin zu spielen. Schließlich produzierte sie den Film mit ihrer Firma Ventanarossa, engagierte die stilsichere Regisseurin Juli Taymor und fand in Miramax eben jenen Partner, der dem farbenprächtigen Schaupielerwerk zumindest manche Oscar-Nominierung einbringen könnte. Und das ganz gegen die branchenübliche Meinung, Künstlerfilme „gingen“ nicht - und Künstlerinnenfilme schon gar nicht.

Die „rote Frida“ sei am Lido angekommen, titelt die „Repubblica“ und meint damit die Geschichte der tapferen, nach einem Straßenbahn-Unfall lebenslang gehandicapten Malerin (1907-1954), die zwei Mal mit dem mexikanischen Revolutions-Michelangelo ns Diego Rivera verheiratet war und zwischendurch neben manchen Affären mit schönen Frauen auch eine Liaison mit dem nach Mexiko in ihr Haus geflüchteten Kommunisten Leo Trotzki hatte. Nun, gar so politisch rot ist Hayeks Frida nicht geraten, sondern eher seelisch dauerentflammt sowie erotisch fleischlich. Aber wer wollte den ersten Stein werfen auf dieses hübsche Werk aus viel Sentiment und – für ein amerikanisches Produkt dieser Größenordnung - erfrischend wenig Sentimentalität?

Kenner der Kahlo-Vita vermissen manches, etwa die Tatsache, dass die Malerin sich, nachdem Trotzki zu seiner Frau zurückgekehrt war, ein Stalin-Porträt auf den eingegipsten Busen kritzelte. Auch für das Besondere ihrer Kunst, die fast naive, figurative Malerei und die Selbstporträts, denen der eigene Lebensschmerz aufgeprägt ist, interessiert sich der Film erst spät. Aber dafür entschädigt ein blendend aufgelegter Alfred Molina als herzensguter Frauenheld Rivera (weniger der griesgramgraue Trotzki des Geoffrey Rush) – und vor allem Salma Hayek selbst wirft sich mit leidenschaftlicher Lust und lustvollem Leiden in ihre Traumrolle. Und schon ist „Frida“ exakt jener Film, in den Männer bedenkenlos mit ihrer Mutter, Schwester, Freundin, Frau, Ex-Frau und sogar mit der Schwiegermutter gehen können.

Die große Filmkunst dagegen wurde, auch in der neuen Nebenreihe „Controcorrente“, noch nicht gesichtet am Lido. Der Schwede Lukas Moodysson („Raus aus Amal“, „Zusammen“) hat sich mit „Lilya 4ever“ nichts Geringeres als die Passionsgeschichte einer nach Schweden gelockten und zur Prostitution gezwungenen jungen Russin (Oksana Akinshina) vorgenommen, aber ihm fehlt die visionäre Kraft und das dafür nötige und bezwingende Pathos eines Lars von Trier. So kippt die zunächst präzise Sozialstudie in einen eher verstörend übernatürlichen Mummenschanz mit Engelsflügeln und kindlichem Liebespaar, das sich vor lauter Elend nur mehr in den Tod retten kann. Das hyperproduktive Kino-Genie Steven Soderbergh dagegen langweilt mit einer überwiegend auf Video gedrehten Fingerübung, die nur fern an seinen fulminanten Starterfolg „Sex, Lies & Videotapes“ erinnert: „Full Frontal“ bringt binnen 24 Stunden sieben Thirtysomethings in einem Film-im-Film zusammen, auseinander und, nunja, wieder zusammen. Und mit „Nha Fala“ (Meine Stimme) hat es zwar endlich wieder ein afrikanischer Film in einen großen Wettbewerb geschafft, aber das Open-Air-Dauertanzmusical von Flora Gomez aus Guinea-Bissau kommt denn doch, bei aller Lebenfreude, schauspielerisch und dramaturgisch arg unbedarft daher.

Kurios? Aber ja. Kurios und sehr bunt, wie fast alles in diesen ersten Tagen.

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