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Kultur: Krieg und Glauben

Vor 450 Jahren wurde der Föderalismus begründet: eine Ausstellung zum Augsburger Religionsfrieden

Kann man aus der Geschichte lernen? Historiker wie Fritz Stern oder Hans-Ulrich Wehler haben sich diese Frage immer wieder gestellt – und sie sehr vorsichtig bejaht. Politiker greifen darauf, siehe Kosovo-Krieg, gern als Argumentationshilfe zurück. Ein gutes Gefühl, zu glauben: Wir machen es besser. Regelmäßig wird die vertrackte Sinnfrage auch bei historischen Ausstellungen bemüht, scheint es doch, dass Rückblicke in die Vergangenheit nur dann interessant sind, wenn sie geradewegs in die Zukunft weisen.

In Augsburg feiert man in diesem Jahr den Augsburger Religionsfrieden, dessen Unterzeichnung sich am 25. September zum 450. Mal jährt. Die große historische Ausstellung „Als Frieden möglich war“ im Maximilianmuseum ist das Herzstück eines Festprogramm, das unter dem Motto „Nur wer sich kennen lernt, kann sich vertragen“ zwischen hochkarätig besetzten Kolloquien und Straßentheater von allem etwas bietet. Mit Religion und Frieden wird beinahe jeder der 280000 Augsburger (darunter 45000 Zuwanderer) etwas verbinden können.

Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 zählt zu den Zentralereignissen deutscher Geschichte. Mit ihm wurde das protestantische Bekenntnis erstmals anerkannt und Staat und Kirche in ein öffentlich-rechtliches Verhältnis gesetzt, das noch heute fortdauert. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten, die im Schmalkaldischen Krieg von 1547 und der Fürstenfronde gegen den allmächtigen Kaiser Karl V. gipfelten und durch den Augsburger Friedensschluss für ein halbes Jahrhundert auf das Schlachtfeld der Diplomatie verlegt werden konnten, finden zudem zeitgleiche Parallelen in Frankreich und den Niederlanden.

Für die von Migration und religiösen Gegensätzen geprägte Gegenwart sind die Themen und Thesen von damals jedoch nur bedingt brauchbar. Die Augsburger Vertragsurkunde, als Leihgabe des Wiener Hof- und Staatsarchivs eines von 340 hochkarätigen Objekten aus 120 Museen und Institutionen, hat vieles bewirkt, eine nachahmenswerte Anleitung zu religiöser Toleranz bietet sie nicht. „Cuius regio, eius religio“: Die berühmte, erst nachträglich gefundene Juristenformel meinte lediglich, dass nun jeder Landesherr im territorial zersplitterten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation für sich und seine christlichen Untertanen die Konfessionszugehörigkeit selbst bestimmen konnte. Der Augsburger Frieden wurde damit zum Teilchenbeschleuniger des deutschen Föderalismus, der sich seither bis in die Alltagskultur abzeichnet. Wie man feiert und baut, trinkt, isst und betet, scheidet noch heute den protestantischen Norden und Südwesten vom katholischen Süden und Westen.

Die individuelle Freiheit der ständisch gebundenen Untertanen blieb weiter beschränkt. Zwar wurde für die Bevölkerung erstmals das Recht festgeschrieben, aus religiösen Gründen den Wohnort zu wechseln. Das höchste Ziel der sich formierenden frühmodernen Staatsverwaltungen war jedoch – bis auf die wenigen bikonfessionellen Reichsstädte wie Augsburg – ein konfessionell homogenes Territorium. Den während der Aufklärung erdachten Toleranzbegriff, der unser Zusammenleben bis heute prägt, kannte man im 16. Jahrhundert noch gar nicht. Und beide Konfessionen – die Reformierten wurden neben Katholiken und Lutheranern offiziell erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 anerkannt – beharrten auf ihren allein seligmachenden Glaubenswahrheiten.

So wirkt die Ausstellung dort am schwächsten, wo sie an moderne Religionskonflikte, Terrorismusgefahren und Ökumeneversprechen anzuknüpfen sucht. Spannend gerät die Darstellung des bisher eher vernachlässigten nachreformatorischen 16. Jahrhunderts da, wo sich Mikro- und Makroperspektive verschränken. Dass Lucas Cranach d.Ä., ein Paradekünstler der Protestanten, fleißig für katholische Höfe malte, ist kein Geheimnis. Doch wenn der Augsburger Goldschmied David Altenstetter, der mit kostbaren Emaille-Arbeiten ebenfalls halb Europa beliefert hat, 1598 in einem Ratsverhör gesteht, er könne sich für keine der beiden in der Stadt ansässigen Konfessionen entscheiden und wandere deshalb am Sonntag oft ziellos umher, dann scheint, im Nebeneinander eines Silberpokals und eines alten Aktenstücks, die ganze Tragik der Epoche auf.

Bleibt die Frage nach dem Scheitern des Augsburger Religionsfriedens, das sich im Fiasko des Dreißigjährigen Krieges entlud. Carl A. Hoffmann, der wissenschaftliche Leiter der Ausstellung, spricht vom Wechsel der Generationen und dem Verblassen von Erinnerung. Den Friedensvertrag und die ihn begleitenden reichsrechtlichen Reformen handelten Fürsten und Diplomaten aus, denen die Kriegsangst noch im Nacken saß. Unter Rudolf II. rückte eine Generation nach, die die Fähigkeit zum Kompromiss durch Prinzipienreiterei ersetzte – und damit die obersten Reichsinstanzen lahm legte, noch ehe der erste Schuss gefallen war. Aus diesem unrühmlichen Ende lässt sich einiges über Politik lernen.

Maximilianmuseum Augsburg, bis 16. Oktober. Katalog (bei Schnell und Steiner) 39,90 Euro.

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