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Kultur: Krieg und Kosmetik „Cruel and Tender“: Luc Bondys Crimp-Uraufführung bei den Wiener Festwochen

George W. Bush hat nicht unbedingt etwas Falsches versprochen, als er sagte, Amerika bringe den Irakern Demokratie und Freiheit.

George W. Bush hat nicht unbedingt etwas Falsches versprochen, als er sagte, Amerika bringe den Irakern Demokratie und Freiheit. Denn wir sehen nicht zum ersten Mal, dass Rassismus, Folter, Menschenrechtsverletzungen, politische Pornografie ihren Platz in freiheitlichen, demokratischen Systemen haben – wenn, wie unter Präsident Bush, Hybris, religiöser Eifer, ökonomisch-strategische Interessen und eine tatsächlich gegebene äußere Bedrohung eine hochaggressive Allianz formen; Gut gegen Böse.

Das antike Griechenland, Wiege der Demokratie und des abendländischen Theaters, gab sich keinen Illusionen über den eigenen Charakter hin. Es hatte keine Traumfabrik. Die klassische Dramatik zeugt von kaum etwas anderem als dem Grauen des Kriegs, von indifferenten Göttern, die, wenn sie sich mit Menschen zusammentaten, Monster zeugten.

Herakles, den Halbgott, betrachtet der britische Theaterautor Martin Crimp als „archetypischen Krieger-Helden und den ersten Zerstörer des Terrors“. Herakles büßt doppelt für seine vermeintlichen Wohltaten. Vom Töten gezeichnet, findet er nicht mehr ins zivile Leben zurück; das Los so vieler Veteranen. Und der missionarische Krieger begreift nicht, „dass, je mehr er den Terror bekämpft, er umso mehr Terror schafft.“ Ein mächtig-ohnmächtiges Diktum aus Martin Crimps neuem Stück „Cruel and Tender“, dem die „Frauen von Trachis“ des Sophokles zu Grunde liegen.

Eine große konzertierte Aktion des alten Europa: Im Wiener Museumsquartier wurde – nach Previews in London – diese zeitgenössische Herakles-Erzählung am Sonntag uraufgeführt. Die Bouffes du Nord in Paris und das Theatre National Populaire Villeurbanne, Castorfs Ruhrfestspiele in Recklinghausen, das Young Vic London und das Chichester Festival: Die halbe Festival-Welt hängt an Luc Bondys, des Intendanten der Wiener Festwochen, hochfahrendem Projekt.

Es geht nicht explizit um Amerika und den Irak, um Bushs Krieg gegen den Terror. Doch es ist unmöglich, diesen Hintergrund zu übersehen. Die Stärke und zugleich die Schwäche von Crimps Antiken-Umschrift liegt im Atmosphärischen: Man spürt das bedrückende Klima von Gewalt und Gegengewalt, von einer scheinbar überlegenen Moral, die sich in Lügengespinsten verwirrt, man weiß nicht mehr, wer mit welchem Ziel den Krieg begonnen hat, da „Befreiungsaktionen“ und Kriegsverbrechen ununterscheidbar werden. Man sieht bei Crimp aber auch nicht den entscheidenden Zugewinn gegenüber dem alten Text.

Von einigen Nebenfiguren und -geschichten abgesehen, zerfällt Crimps Drama, das nicht auf dem Schlachtfeld, sondern an der Heimatfront spielt, in zwei Teile: zwei Monologe. Amelia (die Sophokleischen Namen sind geändert) wartet in einer Unterkunft in der Nähe eines Airports auf ihren Mann, den alle nur den General nennen. Eine Witwe zu Lebzeiten: Der große Krieger, immer im Einsatz irgendwo in der Dritten Welt, kommt nach dem Kampf nicht zu ihr, er ist als Kriegsverbrecher angeklagt. Amelia schlägt die Zeit tot, und die Zeit, die nicht vergehen will, die Ungewissheit, die Zweifel, töten sie. Sie ist zynisch, brutal, verletzlich, von Einsamkeit und Sehnsucht zerfressen, umgeben von Kosmetikzicken und obskuren Boten aus der Männerwelt. Sie schickt dem Gespenst von General schließlich eine Liebesdroge, die sich zum Nervengift entwickelt.

Grausam und zärtlich: Kerry Fox hält das Crimp’sche Konstrukt einigermaßen zusammen. Man kennt, man liebt sie aus Patrice Chéreaus Kinomelodram „Intimacy“. Intimität aber ist hier purer Terror, und Sex eine Waffe, eine Erniedrigung. Laela, die blutjunge schwarze Frau (Georgina Ackermann) , die der General in die Obhut seiner Gattin gibt, ist seine Geliebte: Kriegsbeute. Kerry Fox’ Amelia hält sich mit gebremster Hysterie auf den Beinen, verschanzt sich hinter ihrem Pragmatismus, der manchmal so dominant wird, dass man all das Grauen, die infernalischen Demütigungen vergisst.

Man spielt und spricht Englisch, und englische Schauspieler neigen nun einmal zum Understatement. Luc Bondys trockene Regie – auf der weit aufgerissenen, kalten Dreiecks-Bühnenarchitektur von Richard Peduzzi – verstärkt diese Tendenz. Kalt bis ans Herz sind diese Typen, Menschenmaschinen. Joe Dixon, die Bestie von General, taucht schließlich als sterbender Krüppel auf, ein Kraftkerl, der laut und oberflächlich bleibt.

Bondy schiebt sein Ensemble ohne szenische Fantasie, ohne Rhythmus herum. Man hat solchen Leerlauf in den letzen Jahren bei ihm öfter erlebt. Als er Crimps „Auf dem Lande“ inszenierte, war es vielleicht nur eine private Dreieckstragödie. Im Dreieck von Amelia, Laela und dem General liegen Welten und Kriege. Das Theater aber wirkt paralysiert. Allein Amelias Kosmetikerinnen mühen sich. Make-up für den Horror. Peter Sellars’ poetisch-didaktische Inszenierung der „Children of Herakles“ des Euripides, die zuvor in Wien zu sehen war, kann dagegen erschütten. Und erheben.

Rüdiger Schaper

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