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Kriegenburg: Rot und tot in Brandenburg

Andreas Kriegenburg inszeniert Kleist am Deutschen Theater Berlin. Für seinen Kleist nun verwandelt er die Bühne in ein feuerrotes Gefängnis, einen Höllenschlund.

Nehmen wir mal freundlicherweise an, dass die neue Zeit am Deutschen Theater mit diesem „Homburg“ begonnen hat, vergessen wir die beiden Premieren davor. Ein flaches Kammerspielchen (wenn auch im großen Haus) war die Uraufführung von Lukas Bärfuss’ „Öl“ in der Regie von Stephan Kimmig, trotz einer bravourös gegen Ehe- und Ökonomiegespenster kämpfenden Nina Hoss. Und jenes „Herz der Finsternis“ ( in der DT-Kammer) verfuhr mit Joseph Conrads Erzählung ebenso, wie die Kolonialverbrecher einst mit den Afrikanern umsprangen; totaler Kahlschlag.

Das Problem ist nur: Wir haben es bei Kleists Kriegsdrama und bei der Conrad-Adaption mit demselben Regisseur zu tun – Andreas Kriegenburg. Mit dem Mann, auf den der neue Intendant Ulrich Khuon so viel Hoffnung setzt. Kriegenburg, ein Theaterkünstler der Extreme. Mittlere Lagen gibt es bei ihm nicht. Entweder er überzeugt, er überwältigt, oder er schmiert fürchterlich ab.

Das liegt an seiner Arbeitsweise, an seinem Zugriff auf den Text. Der Regisseur Kriegenburg, immer auch sein eigener Bühnenbildner, schafft sich einen festen Rahmen, eine alles bestimmende Bildidee, eine Bildfessel, die alle Fantasie erstickt oder Energien freisetzt. Bei seiner Münchner Kafka-Paraphrase „Der Prozess“, eingeladen zum diesjährigen Theatertreffen, war es jenes mächtige Auge; ein grandioser Aufschlag, der über einen langen Abend trägt. In der „Finsternis“ sind es riesige Puppen, die nur irritieren und das Spiel blockieren.

Für seinen Kleist nun verwandelt er die Bühne in ein feuerrotes Gefängnis, einen Höllenschlund, die Schauspieler stecken in roten Kostümen (von Andrea Schraad), wir sitzen auf roten Stühlen im renovierten Zuschauerraum – und finden uns wieder in der manischen Albtraumwelt des preußischen Freischärlers Heinrich von Kleist, dessen Patriotismus terroristische Züge trägt, der in Todesvisionen schwelgt und sexuelle Erfüllung einzig im militaristischen Exzess findet.

Die Gesichter weiß geschminkt, die Spielfläche unter Wasser. Eiskalt strahlt die deutsche Hölle. Ein Führerbunker. Dieser Prinz Friedrich von Kriegenburg bewegt sich auf engstem Raum, der szenische Radius wird brutal eingeschränkt. Doch diesmal geht die knappe Kalkulation auf. In nicht einmal zwei Stunden mutiert der verliebte Träumer, der Prinz von Homburg, zu einem furchterregenden Kampfroboter. „Kleist (...) sagte, es sei unmöglich, Offizier und Mensch zugleich zu sein“, schrieb einst Ingeborg Bachmann; sie liebte das Stück sehr. Sie sah es in der berühmten Pariser Inszenierung mit Gérard Philipe, und sie hing offenbar einem romantischen Kleist-Verständnis an.

Nichts davon hier. Kriegenburg bezieht klar Stellung. Der Fall ist eindeutig. Ein Mann wird abgerichtet. Was für ein zarter, gut aussehender, selbstverliebter Typ ist Homburg zu Beginn. Ole Lagerpusch, neu im DT-Ensemble, flirtet mit Hamlet-Anwandlungen, und ein bisschen erinnert er auch an Calderóns Prinzen. Das Leben ist ein Traum, ein Traum von Krieg und Ruhm und Liebe, und Lagerpusch tändelt eitel mit den Geistern, die er ruft. Er wird sich in eine Orgie von Ehre und Fürstentreue hineinsteigern, bis sie ihm die Lorbeerkrone aufs Haupt pressen und unter den brandenburgischen Adler schleppen, wo er die Arme ausbreitet wie Christus am Kreuz. „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ – der finale Schrei will sagen „Es ist vollbracht“.

Immer wieder diese fette Kriegenburg’sche Symbolik, diese Tanztheater-Marotten. Briefe werden auf die Haut geschrieben, die Frauen haben die Fallsucht oder werden wie schweres Marschgepäck herumgeschleppt. Es fehlt nicht viel, und Kriegenburgs breite Handschrift hätte wieder alles verdorben. Der Raum klingt gruftig, selbst vorn im Parkett kommt so mancher Satz nicht an, geht unter in hektischem Geplantsche.

Aber es kommen starke sprachliche Auftritte, hell und grell blitzt Kleists Wortgewalt auf: wenn die Prinzessin Natalie (Barbara Heynen) beim Kurfürsten um Homburgs Leben fleht, wenn der Obrist Kottwitz (Bernd Stempel) um des Prinzen willen Rebellion riskiert, wenn schließlich Brandenburgs Herrscher (Jörg Pose) mit kühlem Kopf und heißem Herzen und halsbrecherischer Dialektik zwischen Staatsräson und gottgleichem Gnadenerweis Homburg ins Leben zurückholt.

Ins Leben? In den nächsten Krieg. Man darf sich nicht täuschen lassen. Hier findet eine zynische Abwägung statt, das Maß ist immer nur die Staatsräson. Der Kurfürst begreift, dass des Heißsporns Homburg eigenmächtiges Vorgehen in der Schlacht und ebenso des Kottwitz selbstbewusstes Offiziersethos dem „Vaterland“ nur dienlich sind; wertvoller als Kadavergehorsam. Es geht allein um die höhere Ehre und den Sieg. Um den Krieg als Religion. Der Weg vom brandenburgischen Freiheitskampf zum Nazi-„Volk ohne Raum“ scheint kurz. Das hat auch Heiner Müller so gesehen.

Kolonialismus, Militarismus: Ulrich Khuon eröffnet seine Intendanz mit schwerem Geschütz, Rohrkrepierer eingeschlossen. In ein paar Tagen geht’s schon weiter mit „Woyzeck“, dem Mann mit dem Messer.

„Prinz Friedrich von Homburg“ wieder am 1., 2. und 8. Oktober.

Rüdiger Schaper

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