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Kultur: Kriegerisches Getümmel

KLASSIK

Kent Naganos Mission ist heikel. Es geht um Waffen. Um die geheimen Säbel- und Kanonenlager, die in der scheinbar so friedlichen klassischen Musik verborgen sind. Drei verdächtige Stücke stehen in der Philharmonie auf dem Prüfstand, und der Chefinspekteur des Deutschen Symphonie-Orchesters wird schon bei Rossinis „Tell“-Ouvertüre fündig. Viel Zeit hat er nicht und zieht das Tempo schon in den idyllischen Passagen an. Nagano traut dem Frieden nicht, entdeckt in stechenden Pizzicati, in fernem Paukengroll die Vorzeichen der Katastrophe. Das oft als Reißer missbrauchtes Stück offenbart sein Potenzial als sinfonische Dichtung: Selbst der notorische Finalgalopp, den sich Rossini als Fanal des schweizerischen Volksaufstands dachte, gewinnt in seiner kalkulierten Atemlosigkeit beängstigende Züge.

Auch in Beethovens 7.Sinfonie macht Nagano Schluss mit dem Musikmissbrauch – und zeigt, dass dieses Stück heute, im Bewusstsein zivilisationsbedrohender Kriege, anderes zu sagen hat als Paraden-Schneidigkeit. Naganos Siebte ist eine Schlachtensinfonie mit beängstigend realistischen Zügen. Die plastische, frappierend räumliche Schilderung des Schlachtgetümmels verdichtet sich immer wieder zu visionärer Essenz: Gänsehaut erregend fahl beginnt der Trauermarsch in den Bratschen und Kontrabässen, steigert sich zum pompösen Defilée der Gefallenen, und verhallt schließlich spukhaft – als wär’s ein Stück von Schostakowitsch. Wie eine nicht mehr zu stoppende Kriegsmaschine gebärdet sich das Finale, dessen kurzatmige Wiederholungen so als kalkulierter Leerlauf Sinn haben.

Gut und wichtig allerdings, dass in diesem erzgescheiten und vom DSO blendend gespielten Programm (das durch Liszts „Les Préludes“ ergänzt wird) nicht nur für den Krieg, sondern auch für die Opfer Platz ist. In Matthias Pintschers im vergangenen Jahr uraufgeführter Fantasie with lilies white dringt der kriegerische Aufruhr des virtuos gehandhabten Orchesterapparates nur als Echo einer Außenwelt, bietet lediglich den Anstoß zum internalisierten Verarbeitungsprozess: Die Kunstwelten zweier Totenklagen, von William Byrds titelgebendem Renaissancelied und Derek Jarmans schönheitstrunkener Poesie, vertraut Pintscher einer seraphischen Knabenstimme (dem fabelhaften Kruzianer Philipp Polhardt) und drei Sopranen an und schafft so ein räumliches Gespinst von berückender Verletzlichkeit und Zartheit.

Jörg Königsdorf

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