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Kultur: Kriegsfilm: Tief gesunken

Der britische Nationalstolz muss in diesem Kinojahr einiges erdulden. Gerade ist die Aufregung um Roland Emmerichs Historienschwarte "Der Patriot" abgeklungen - da kommt die nächste Attacke aus Hollywood.

Der britische Nationalstolz muss in diesem Kinojahr einiges erdulden. Gerade ist die Aufregung um Roland Emmerichs Historienschwarte "Der Patriot" abgeklungen - da kommt die nächste Attacke aus Hollywood. Diesmal sind es nicht unkorrekt dargestellte Kolonialstreitkräfte. Jetzt eignen sich Amerikaner glatt eine der größten Heldentaten des Zweiten Weltkriegs an: das Entern eines deutschen U-Boots unter Inbesitznahme einer Chiffriermaschine vom Typ "Enigma", mit deren Hilfe die Deutschen ihren U-Boot-Krieg steuerten.

Schon in Steven Spielbergs "Der Soldat James Ryan" suchte man britische Kriegsveteranen vergeblich. Aus der gemeinsamen Landung der Alliierten war ein amerikanischer Alleingang geworden. Und nun dies: "U-571 bestiehlt die wahren Helden, die Royal Navy", erboste sich die "Times". Der "Daily Telegraph" titelte achtspaltig: "Die Wahrheit ist das erste Opfer in Hollywoods Krieg." Schließlich sah sich sogar Präsident Clinton zur Intervention genötigt. Er verstehe das Bedürfnis, die Rolle der Royal Navy anerkannt zu sehen, schrieb er einem Abgeordneten des Unterhauses. Aber die Universal Studios hätten nun mal erklärt, der Film sei keine genaue Schilderung historischer Ereignisse.

Die präsidiale Nachhilfe über den Unterschied zwischen Realität und Fiktion mag ein schwacher Trost sein. In einem Punkt haben die Briten Recht: Das erste Opfer im Krieg ist immer die Wahrheit. "U-571" hat allerdings weitere Opfer gefordert. Allen voran das Ansehen des Schauspielers Harvey Keitel, der hier hauptsächlich von seinen Uniformknöpfen und einem grotesken Oberlippenbart zusammengehalten wird. Auch Rock-Star Jon Bon Jovi, umständlich in die Handlung eingeführt, geht sanglos unter.

"Immer, wenn man etwas auf zwei Stunden Zelluloid herunterschneidet," sagt Regisseur Jonathan Mostow, "muss man sich dramaturgische Freiheiten nehmen." Also spann er sein Seemannsgarn nach alter Väter Sitte: Gute Marines entern das Boot. Dessen Besatzung wird durchgehend von deutschen Akteuren auf Deutsch gespielt, die ihre Kommandos in einer seltsam eckigen Sprache bellen. So müssen sie sein, die"fucking Nazi Krauts". Auch die Einrichtung ist deutsche Wertarbeit: besorgt von Götz Weidner, der schon Wolfgang Petersens "Boot" ausstattete.

Damit die zwei Stunden irgendwie weitergehen, wird das U-Boot der Amerikaner von einem deutschen Zerstörer versenkt. Die Helden müssen darauf mit dem angeschossenen deutschen U-Boot abtauchen. Es schlägt die Stunde der großen U-Boot-Gemeinplätze: 1. Ein U-Boot muss im Film irgendwann eine Tiefe erreichen, bei der die Bolzen aus den Wänden fliegen. 2. Irgendwie hält der Kahn. 3. Der feindliche Vorrat an Wasserbomben ist unerschöpflich. 4. Es ist ein Anfänger an Bord. 5. Es gibt Ärger mit den Torpedos. Ohne diese fünf Essentials wäre das submarine Schlottern wohl nur ein kurzes Bibbern. Aber muss ein Film so tief sinken wie dieser? Was Mostow vom Stapel lässt, will von der ersten Klappe an nichts anderes sein als ein banaler Kriegfilm. Ein ganz banaler. Mit richtigen Helden. Ohne "Anti-" davor. Mögen die Saal-Lautsprecher bei den Detonationen auch im Dolby-Digital-Sound wummern - unter Deck herrscht ein 50 Jahre altes Weltbild. Für "U-571" gibt es daher nur einen angemessenen Liegeplatz: auf dem Boden des Marianengrabens.

Ralph Geisenhanslüke

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