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Kriegsreportage: Deutschlands Vietnam

Geschmack der Wüste: Der Journalist Sebastian Christ berichtet davon, was der Krieg in Afghanistan mit den Menschen macht: den Soldaten in den Feldlagern - und mit den Deutschen hier.

Von Michael Schmidt

Am 7. Juni 2003 kam der Krieg in die Wohnzimmer des hessischen Dorfes Frankenberg. Mitten in die Volksfeststimmung des Pfingstmarkts platzen die 20-Uhr-Nachrichten der Tagesschau: „Auf die Bundeswehr in Afghanistan ist ein schwerer Sprengstoffanschlag verübt worden. Vier deutsche Soldaten wurden getötet.“ Sie waren in einem Bus auf dem Weg zum Flughafen nahe Kabul gewesen, von wo aus sie den Heimflug hätten antreten sollen. Es war der erste tödliche Anschlag auf die Bundeswehr am Hindukusch.

Die getöteten jungen Männer stammten aus der Kaserne in Frankenberg, in der Sebastian Christ, Jahrgang 1981, seinen Wehrdienst leistet. Wenige Jahre später, inzwischen arbeitet er als Journalist, reist Christ dreimal nach Afghanistan, an die Schauplätze dieses Krieges, der lange so nicht heißen durfte.

Das Ferne und das Nahe

Was der Krieg mit den Menschen macht, mit den Soldaten in den Feldlagern dort, am anderen Ende der Welt, Luftlinie vier- bis fünftausend Kilometer entfernt, und mit den Deutschen hier, in den Dörfern und in den Metropolen, das hat er aufgeschrieben. „Das Knurren der Panzer im Frühling“ heißt sein „Kriegsbericht aus Afghanistan“, der doch so viel mehr ist als das. Ein Puzzle aus Kurzgeschichten, Reportagen und Momentaufnahmen, das ein vielfarbig schillerndes Bild ergibt – ein Bild der Wirklichkeit des Krieges in Afghanistan wie der Wirklichkeit auf den Straßen dieser Republik und in den Köpfen ihrer Bürger.

Auf eindrucksvolle Weise verbindet Christ, der ein genauer Beobachter ist, das Ferne mit dem Nahen: den nervenaufreibenden Lageralltag in einem Land, in dem nichts und niemandem außer dem eigenen Bauchgefühl zu trauen ist, mit dem Leben des Bundesbürgers unter dem Eindruck wiederholter Terrorwarnungen; die Angst der Soldaten bei Angriffen mit der Verunsicherung hauptstädtischer Spaziergänger im Angesicht der Sperrgitter rund um den Reichstag; die so ernüchterten wie ernüchternden Protokolle seiner Gespräche mit Soldaten, Militärpfarrern und Afghanen mit dem anfangs linkischen, weil ungeübten, ungewohnten Versuch der Politik hierzulande, sich begrifflich und handelnd auf die Höhe des Geschehens zu bringen.

Der Krieg bringt keinen Frieden

Christs Sprache ist lebendig, anschaulich, zupackend, frei von Pathos und doch einfühlsam, subjektiv und sinnlich: Der Leser schmeckt den Staub der afghanischen Wüste, kämpft mit dem Schlamm an den Stiefeln, riecht den Dieselgestank aus tausenden Aggregaten und schwitzt unter der Last schwerer Schutzwesten. Christs Geschichten sind mal berührend, mal witzig, mal verstörend und mal grotesk, und immer erhellend. Und sie bleiben den Beweis für des Autors These nicht schuldig, dass die Wirklichkeit oft absurder ist als die Fantasie. Dass der Krieg keinen Frieden bringt.

Und dass kaum jemand weiß, wie es weitergeht – und niemand viel Gutes für die Zeit nach dem Abzug der internationalen Truppen 2014 erwartet. „Das wird unser Vietnam“, zitiert Christ einen Bundeswehroffizier. „Mag sein, dass wir Deutschen uns rechtzeitig retten können. Aber ich möchte nicht wissen, was mit den ein- oder zweihunderttausend Zivilangestellten passiert, die uns hier in den Jahren geholfen haben. Die werden ein schreckliches Ende nehmen. In Vietnam konnten sie sich noch aufs Wasser retten. Die Boatpeople. Aber Afghanistan hat noch nicht einmal einen Zugang zum Meer.“

Sebastian Christ: Das Knurren der Panzer im Frühling. Ein Kriegsbericht aus Afghanistan. Pattloch Verlag, München 2011. 224 Seiten, 16,99 Euro.

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