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Hilfe zur Selbsthilfe. Hier werden keine Bücher verkauft, hier kann man in der Innenstadt von Athen Bücher tauschen. Foto: AFP

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Kultur: Krise im Klappentext

Für die griechische Buchbranche wird es immer schwieriger. Sie spiegelt die Situation im Lande wider.

Auf den ersten Blick sieht alles normal aus. Die freundliche Großbuchhandlung im Zentrum von Athen ist gut besucht. Die Leute lassen ihre Blicke über die Regale schweifen, sie blättern in den Büchern und fragen neugierig die Buchhändler aus. Die Stimmung ist gelassen, die Sonne flutet durch die Glasfassaden, und das Café in der oberen Etage wird fleißig frequentiert. Verglichen mit den leerstehenden Geschäften rundherum, die früher Kleidung oder Einrichtungsgegenstände verkauft haben, scheint es hier gut zu laufen.

Die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache. Offiziell wird von einer 30-prozentigen Rezession berichtet, unter vier Augen sprechen Verleger und Buchhändler aber von einem Rückgang um mindestens 40 Prozent. Die Krise ist also allgegenwärtig, auch auf dem Buchmarkt. Eine „Trilogie der Krise“ hat Petros Markaris in Arbeit, gerade schreibt er am dritten Roman. Aber nicht nur er erhebt die Krise zum Programm. Es gibt Verlage, die ihr stark reduziertes Programm unter dem Motto „Bücher gegen die Krise“ anpreisen, die Reihe „Nobelpreisträger“ kann man am Kiosk für ein paar Euro kaufen. Immer wieder liest man den Zusatz „Ein Buch zur Krise“ oder „Das Buch zur Krise“ neben dem Titel, und wenn nicht so exponiert, dann kommt spätestens im Klappentext der Hinweis, das Ganze sei ein Kommentar oder zumindest eine Allegorie der Krise.

Es war ein Menetekel, als vor zwei Jahren einer der größten Verlage mit dem emblematischen Titel Ellinika Grammata (Griechische Literatur) in Konkurs ging. 2000 noch ein Nischenverlag, wurde er in den „Goldrausch-Jahren“ vom mächtigen Lamprakis-Medienkonzern aufgekauft. Aus dem kleinen, akademisch orientierten Haus, wurde ein Hype; serienmäßig wurden Popliteratur sowie Starautoren eingekauft, die man anderen Verlagen abspenstig gemacht hatte, ähnlich wie im Fußballgeschäft. 2006 wurden noch 423 Titel publiziert, im Jahr darauf steckte man schon mit über vier Millionen Euro in den roten Zahlen.

2010 war für Ellinika Grammata mit seinen 96 Angestellten Schluss. Andere Häuser könnten folgen. Der historische Kedros Verlag, der 1881 gegründete Hestia Verlag, der Okeanida Verlag oder der Kastaniotis Verlag sind einige der wichtigsten Häuser, die feste und freie Mitarbeiter längst nicht mehr bezahlen und sich nur durch ihre rätselhafte wie rührende Großzügigkeit oder durch Liquidierung von Privateigentum einiger Chefs noch über Wasser halten. Noch 2008, kurz vor der Banken- und Euro-Krise, hätte sich das kaum einer träumen lassen, denn man war Teil einer Wachstumsbranche. Verlage zögern mit der Publikation neuer Titel, fertige Manuskripte liegen wie Blei, das gilt auch für Übersetzungen aus anderen europäischen Sprachen. Man geht kein Risiko mehr ein.

Im Jahr 2000 betrug der Umsatz der Verlage 79 Millionen Euro, 2008 waren es mit 158 Millionen Euro fast doppelt so viel. Der Verleger Thanassis Kastaniotis sagt nun, es herrsche Nationaltrauer. Die Verkäuferin in der freundlichen Athener Buchhandlung berichtet davon, dass die Kunden mittlerweile nach Lektüre fragen, die sie von dieser Tristesse ablenkt, und das dreimal, ehe sie ein Buch kaufen. Eine Freundin berichtet, im Radio würden nicht mehr die neuesten Handys angeboten, sondern ein Buch, das helfen soll, die Depression ohne Medikamente zu bewältigen. Doch wer will unter diesen Umständen überhaupt noch lesen? Wie konnte es soweit kommen? Viele Erklärungen sind im Umlauf, in der Summe aber ergeben sie ein Bild.

Erstens: Die Griechen haben nie viel gelesen. Sie verfügten weder über ein starkes Bildungsbürgertum noch über ein nennenswertes Bibliothekennetzwerk. Man verbrachte die Zeit lieber im Freien, mit Freunden beim Essen oder Diskutieren, statt allein im Sessel zu lesen.

Zweitens: Die Buchkrise ist eine logische Konsequenz der allgemeinen Krise. Wenn überall Geschäfte schließen und die Leute weniger Geld in der Tasche haben und ohnehin mit anderen Sorgen konfrontiert sind, werden logischerweise weniger Bücher gekauft und daher geschrieben, übersetzt und gedruckt.

Drittens: Der Staat war viel zu sehr auf dem Buchmarkt involviert. Ob Schulbücher oder Freiexemplare für Studierende: Das Ministerium für nationale Erziehung und Religionen, wie das Kultusministerium hieß, hat in der Tat sehr viel Geld ausgegeben, meistens für Bücher, die von staatlichen Druckereien, Scheinverlagen oder gar von Universitätsprofessoren privat und in miserabler Qualität herausgegeben wurden. Der freie Markt und die gesunde Konkurrenz wurden dadurch zerstört. Damit spiegelt die Buchbranche die Situation im ganzen Land.

Viertens: Die Großbuchhandlungen haben ein Monopol entwickelt, indem sie Bücher, die von den Verlagen auf Kommission zur Verfügung gestellt worden waren, gleich stapelweise aufbauten. Der Lektor und Journalist Anteos Chrysostomìdis schrieb in der Zeitung „Avgi“: „Riesen mit zerbrechlichen Beinen aus Ton waren die neuen Großbuchhandlungen, Zwischenhändler, die sich nur für die Maximierung ihrer Prozente interessieren. Sie werden für ihre Schaufenster bezahlt, genauso wie die Supermärkte.“ Mittlerweile stehen in einigen Großbuchhandlungen die Regale fast leer. Die Verlage liefern nur noch einzelne Exemplare und das gegen Sofortkasse.

Immerhin ist das Thema Griechenlandkrise ein Renner. Aber gibt es Traurigeres, als damit Geschäfte zu machen? Die Experten haben Konjunktur, und mit einer seltsamen Mischung aus Voyeurismus und wohltuendem Erschauern über ein Geschehen fern von Deutschland hört man ihnen zu – zuweilen mit der leisen Furcht, dass uns hierzulande eine ähnliche Zukunft bevorstehen könnte.

Kostas Kosmas

Kostas Kosmas

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