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Krise und Klischee: Sirtaki, Souvlaki, Stress

Manche Bilder sind verzerrt: Wie die Deutschen über die Griechen denken – und umgekehrt.

Preisgünstig einkaufen – das haben die Griechen in den letzten Jahren vor allem von den Deutschen gelernt. Mehrere deutsche Unternehmen aus der Elektronik-, Haushalts- und Lebensmittelbranche sind auch in Griechenland sehr präsent. Eines unter ihnen wirbt in einem TV-Spot mit einem deutschen Manager, der selbstbewusst-arrogant durch die Hallen marschiert, im Gefolge ein Haufen serviler griechischer Mitarbeiter. Sie werden von ihm gelobt oder gerügt, und als einer zitternd mit einem Preisschild einen Vorschlag macht, zerreißt der Manager das Schild, so dass ein neuer, viel niedrigerer Preis zum Vorschein kommt.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise weist dieser Spot über seine ursprüngliche Werbebotschaft weit hinaus: Kürzungen vor allem im öffentlichen Dienst sind bitter nötig, und sie wurden in einem Bündel längst überfälliger Maßnahmen am vergangenen Wochenende auch beschlossen. Seit April befindet sich Griechenland in einem regelrechten Belagerungszustand, den das Land nur zweimal in den letzten 50 Jahren erlebt hat: 1967, als die Obristen an die Macht kamen – und im Dezember 2008, als Athen sich in ein Schlachtfeld erbitterter Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Jugendlichen, Autonomen und den Ordnungskräften verwandelte.

Diesmal kommt der „Feind“ von außen. Gerade in deutschen Medien entbrannte ein Krieg der Klischees und Stereotypen „die Griechen wollen unser Geld!“, der einerseits Erinnerungen an finstere Zeiten aus dem Zweiten Weltkrieg wachrief, sich andererseits in gemäßigteren Blättern als der „Bild“–Zeitung auf die typische Griechenlandfolklore konzentrierte. Das ist nicht eben erstaunlich. Nach Griechenlands Rückkehr zur Demokratie 1974 hatte das Land seinen medialen Mehrwert zunehmend eingebüßt, auch weil der Integrationsprozess des Landes in das vereinigte Europa politisch überwiegend komplikationslos verlaufen war.

Deutsche Medienvertretungen, etwa das ARD-Büro, verließen das Land, und deutsche, im ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei ansässige Korrespondenten übernahmen zusätzlich die Griechenlandberichterstattung über Ereignisse wie Wahlen, Waldbrände oder Protestwellen. Mit Ausnahme des Jahres 2004, als Griechenland Fußballeuropameister wurde und in Athen die Olympischen Spiele stattfanden, war das Land aus der globalisierten Medienlandschaft weitgehend verschwunden.

Demnach dürfte in Deutschland tatsächlich ein eher verzerrtes Griechenlandbild vorherrschen. Ein Bild, in dem die Klischees eines „Alexis Sorbas“, der Akropolis und von Sirtaki und Souflaki dominieren. Zu kurz kommt, dass das Land in den letzten 30 Jahren einen so radikalen wie merkwürdigen sozialen Wandel durchgemacht hat. Die seit Jahrzehnten unterprivilegierten, meist links orientierten sozialen Schichten fühlten sich durch die Öffnung des öffentlichen Dienstes bestätigt und politisch rehabiliert. Der Staat übernahm, in dem er den öffentlichen Dienst anwachsen ließ, die Rolle eines nationalen Arbeitgebers, der in einem wohlorganisierten Klientelsystem neue Arbeitsplätze schuf.

Dank üppig fließender EU-Subventionen und zahlreicher Modernisierungsprojekte ging der Staat nicht nur verschwenderisch mit dem Geld um, das zudem meist in falsche Hände gelangte, sondern sicherte partei-und machtpolitische Interessen. So entstand eine Mentalität des schnellen Profits sowie des „unentbehrlichen Beamten“, ganz im Sinn der Parabel von Bertolt Brecht. Griechenland ist durch diese Politik Schritt für Schritt zu einem armen Land mit wenigen (neu-)reichen Einwohnern herabgesunken.

Den Griechen – und auch den Deutschen im Land – steht eine schwierige Zeit bevor. Die einen fühlen sich betroffen, die anderen betrogen. Stavros K. hat in den siebziger Jahren in Deutschland studiert, seine Schwester ist mit einem deutschen Maler verheiratet. „Ich finde die deutschen Reaktionen eher übertrieben. Deutsche Firmen haben hier nicht nur die Oberhand, sondern einige davon sind direkt an Bestechungsaffären beteiligt. Sie sind für diese Krise mitverantwortlich“, sagt er und spielt auf den Siemens-Schmiergeldskandal an, der nicht nur in Griechenland 2006 hohe Wellen schlug. Der Wirtschaftsexperte Giorgos M. kritisiert die verspätete Reaktion des griechischen Staates. „Auch wenn die abgewählte Regierung die größte Verantwortung trägt, hätte die Pasok-Regierung nicht auf Zeit spielen dürfen. Das Engagement des Internationalen Währungsfonds kann mittel- und langfristig nur böse Folgen für Griechenland haben.“ Nana Mouskouri, die griechische Sängerin und ehemalige EU-Parlamentarierin, beklagt die wechselseitigen Missverständnisse und das folkloristische Bild aller Europäer über ihr Land. „Wir gehören längst der europäischen Familie an. Debatten über Reparationsfragen, die auf den Zweiten Weltkrieg zurückgehen, schaden der gemeinsamen europäischen Angelegenheit“, erklärte sie in einem Fernsehsender. Von vielen Deutschen aber, die in Griechenland leben und arbeiten, hört man die Klage: „Wieso muss ich bis 65 schuften, wenn der Grieche schon mit 50 in Rente gehen kann und dazu noch Steuerhinterziehung zum Nationalsport macht?“

In der alternativen Buchhandlung „Nautilus“ dagegen, die nahe beim Szeneviertel Exarcheia liegt, das als „No-go-Area“ für die Polizei gilt, ist die Stimmung entspannt. „Die Meisterschaft ist verloren und die Mannschaft aus den Fugen geraten“, sagt einer der Angestellten, meint damit aber weder Wirtschaft noch Regierung, sondern seinen Lieblingsverein Olympiakos Piräus. Auch bei der Gratis-Szene-Zeitung „Lifo“, die wie ihre Konkurrentin „Athen’s Voice“ das „Dickicht der Stadt“ erforschen will, ist Lockerheit angesagt. Schwerpunkt der letzten Ausgabe war das Thema „Essen und Trinken in Athen“. Die Krise wird nur im Editorial behandelt. Darin zeigt sich der Redaktionsleiter genervt, „von der Krise belagert“ zu werden. Immerhin hat er eine hübsche, nicht gerade tröstliche Schlusspointe: „Wir werden große Momente erleben – als kleiner Mann.“

Kostas Kalfopoulos, geboren 1956 in Athen, hat u.a. in Hamburg Soziologie studiert. Er lebt in Athen und arbeitet für das Feuilleton der griechischen Tages- und Sonntagszeitung „Kathimerini“.

Kostas Kalfopoulos

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