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Kultur: Kristina Söderbaum: Ein deutscher Opfergang als Durchhalteparole

Man kann es auch jetzt, da sie fast 88-jährig gestorben ist, nicht verschweigen: Sie hat in dem schandbarsten deutschen Film mitgespielt, und ihr Ehemann und ihr Regisseur hat diesen Film gedreht. "Jud Süß" bereitete 1940 die "Endlösung" propagandistisch vor, die doch, angeblich, von den Verantwortlichen vor der "deutschen Bevölkerung" (so hieß das damals) verheimlicht wurde.

Man kann es auch jetzt, da sie fast 88-jährig gestorben ist, nicht verschweigen: Sie hat in dem schandbarsten deutschen Film mitgespielt, und ihr Ehemann und ihr Regisseur hat diesen Film gedreht. "Jud Süß" bereitete 1940 die "Endlösung" propagandistisch vor, die doch, angeblich, von den Verantwortlichen vor der "deutschen Bevölkerung" (so hieß das damals) verheimlicht wurde. Der Film beweist, dass da eine augenzwinkernde, eine miese verständnisvolle Heimlichkeit bestand zwischen dem Antisemitismus der Nationalsozialisten und den Deutschen, die es gleichzeitig wissen und verdrängen wollten.

Trotzdem, die aus Schweden stammende Schauspielerin, deren ehrenwerter Vater zeitweise Vorsitzender des Nobelpreiskomitees war (ein Komitee, das beispielsweise Carl von Ossietzky vor den tödlichen Misshandlungen im KZ nicht retten konnte, so sehr pfiffen die Nazi-Machthaber von Anfang an auf Ehrenhaftigkeit), hat sich mir in meiner Kindheit nachdrücklich ins Bewusste und Unbewusste eingeschlichen und es okkupiert: In der Kindheit ist man empfänglich dafür - schutzlos empfänglich -, welches Frauenbild einen zum ersten Mal mit unstillbarer Sehnsucht umfängt.

Söderbaum war unendlich blond, sehr blauäugig, und sie hatte jenes gerüttelt volle Maß an Unschuld, Reinheit und tränenvoller Hingabe, das damals dem deutschen Ideal entsprach (von dem ich auch noch nicht wusste, dass es auch die perversen und pervertierten Schmutzfantasien eines Julius Streicher beherbergte - und wie!). Jetzt, da wir im Kino von de Sade-Verkörperungen heimgesucht, mit Hannibal-Kannibal-Attitüden gekitzelt werden sollen (und das möglichst nahe an der Ekelschwelle), ist es gut, sich zu erinnern, dass die braune Perversion möglichst nah an Heideduft, Meeresrauschen und Alpenglühn stattfand. Der nordischen Blondine war ein "Opfergang" vorbestimmt, sie fiel geilen, skrupellosen Slawen und Juden in die Hände (das war das heimliche Lust-Element) und endete im Wasser, wo sie - natürlich erst im Tod - alle Schuld von sich waschen konnte. Kristina Söderbaum hieß "Reichswasserleiche", deshalb.

Erst viel, viel später, als ich Klaus Theweleits "Männerphantasien" gelesen hatte, wusste ich, warum mich das Geschöpf des primitiv-raffinierten Gut-Böse-Malers Veit Harlan so fasziniert hatte: Sie war der reine Engel, die Heilige der Freicorps-Fantasien der faschistischen Männerhorden und Männerbünde, die von den bösen Untermenschen als Hure geschändet wurde und unter die Räder kam. Die damaligen Männeralbträume konnten sich ihre Sühne nur in ihrer Auslöschung ausmalen.

Ist man für das Kino verantwortlich, dass man seit seiner Kindheit im Kopf hat? Ich weiß noch, wie mich der Veit-Harlan-Film "Die Goldene Stadt" (1942) beeindruckte. Kurt Meisel spielte eine unvergleichlich böse, aasige Rolle und brachte die Schöne zur Strecke: in der großen, golden glänzenden Stadt, die der verlockende Sündenpfuhl war, neben der Unschuld vom Lande.

Die Perversion lag auch darin, dass Kristina Söderbaum eine "Kindfrau" spielte, die braun-stumpfsinnige Version von Wedekinds "Lulu". In dem Bestiarium des Goebbels-Nazi-Films wucherten viele unterdrückte Perversionen, bis zur blütenrein verlogenen Reinheit ausgewaschen, allesamt in kriegerische und mörderische Aggressionen umgeleitet.

Ist dies der richtige Ton für einen Nachruf? Ich glaube, man tut der Söderbaum nicht Unrecht, wenn man deutlich macht, eine wie prägende Aufgabe sie im Film des Dritten Reichs hatte - noch bis zum letzten "Triumph des bösen Willens"-Film, den Durchhalte-Film "Kolberg", als Goebbels Harlan ganze kriegswichtige Regimenter zu Propaganda-Zwecken abkommandierte, die an der "Heimatfront" fehlten, um die unschlagbare "Heimatfront" im Kino zu verherrlichen: eine grandiosere und schrecklichere Umkehrung zwischen Wirklichkeit und Kintopp hat es nie gegeben. Kristina Söderbaum, von der bezaubernden Schönheit der geschändeten Unschuld, ein Durchhalte-Heideröslein, war immer dabei.

Ist man nachtragend, wenn man das einer großen unvergesslichen Schauspielerin über den Tod hinaus vorhält. In "Jud Süß" hatte sie - neben Werner Krauß (der eindruckvollste deutschsprachige Schauspieler seiner Epoche konnte gar nicht genug Judenkarikaturen auf die Leinwand bringen) einen Partner, der ein sensibel großartiger Schauspieler war: Ferdinand Marian. Marian hat sich über die Schande, Jud Süß gespielt zu haben, nach 1945 das Leben genommen.

Kristina Söderbaum dagegen blieb sich, wie es so schön-dumm heißt, selber treu. Sie blieb ihrem Mann so treu, dass sie Filmrollen ablehnte, solange er "Berufsverbot" hatte. Das mag sie ehren, in einem bestimmten Sinn. Wer nicht mit Harlan und dem Nazi-Film über dessen Ende hinaus liiert und verbunden blieb, darf ihre Haltung auch als uneinsichtig betrachten. Das Versöhnlichste, was man über sie sagen kann: Sie war eine wunderschöne, eindrucksvolle Leinwand-Heldin in einer kranken, mordlüsternen Film-Industrie. Sie war ein Opfer, aber sie hat sich willig als Opfer gegeben.

Hellmuth Karasek

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