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 deSchauspielerin des Jahres im Stück des Jahres des Theaters des Jahres. Stefanie Reinsperger in „Die lächerliche Finsternisnr Wiener Burg.

© picture alliance / GEORG HOCHMUT

Kritiker-Jahresumfrage von "Theater heute": Wien triumphiert, Berlin verliert

Dreimal Wien: Stefanie Reinsperger gewinnt in "Die lächerliche Finsternis" an der Burg. Berlin dagegen schwächelt bei der Jahresumfrage der Zeitschrift "Theater heute".

Manchmal, das hat Karin Bergmann kürzlich einem österreichischen Nachrichtenmagazin verraten, steht sie als Motivationscoach ihrer selbst vor dem Badezimmerspiegel und spricht sich mit einem knackigen „Bergmann, du schaffst das“ Mut zu. Braucht sie auch, bei dem Job. Jetzt kann die Intendantin des Wiener Burgtheaters ihrem Spiegelbild obendrein ein beherztes „Glückwunsch, Bergmann!“ zurufen. In der Kritikerumfrage, die das Fachblatt „Theater heute“ alljährlich in seinem Jahrbuch veröffentlicht, ist die Bühne, die Bergmann im Zustand der fortgeschrittenen Selbstzerstörung übernommen hat, zum Theater des Jahres gewählt worden. Mit einer zwar nicht überwältigenden, aber deutlichen Mehrheit von sechs aus 42 Stimmen.

Der Vorjahressieger, das Berliner Maxim Gorki Theater, muss sich mit dem zweiten Platz bescheiden (den es außerdem noch bei Stimmengleichheit von jeweils zwei Voten mit der Volksbühne und der Schaubühne teilt). Da kommt gewiss auch der reflexhafte Berliner Neid auf die K.u.K.-, also die Kunst-und-Kultur-Glorie auf. Aber verdient ist die Auszeichnung schon deshalb, weil Bergmann es binnen Kurzem geschafft hat, dem von Vorgänger Matthias Hartmann geerbten Augiasstall aus Finanzskandal und Schuldzuweisungs-Operette zumindest nach außen einen manierlichen Anstrich zu verpassen. Man kann jetzt wieder über die Inszenierungen an der Burg sprechen, statt über das Geld, das dort in Plastiktüten über die Flure getragen wird.

Reise ins Herz des westlichen Horrors

Apropos: Die Inszenierung des Jahres ist passenderweise auch an der Burg entstanden. Es ist Dušan David Parízeks Version von Wolfram Lotz’ Kolonialismus-Groteske „Die lächerliche Finsternis“ (acht Stimmen). Wobei diese Reise ins Herz des westlichen Selbstermächtigungs-Horrors mit Erdrutschmehrheit auch zum deutschsprachigen Stück des Jahres gewählt worden ist. 27 Kolleginnen und Kollegen waren sich einig, dass die frei nach Joseph Conrad und Francis Ford Coppola entstandene Flussfahrt über den Hindukusch nicht zu toppen war (Text-O-Ton: „Hier sagen die Leute: ‚Der Hindukusch ist doch kein Fluss, das ist ein Gebirge.‘ Die Leute sehen was im Fernsehen und glauben es einfach“). So viel Einigkeit gab’s noch nie. Was wiederum gut zum Schwerpunktthema des Jahrbuchs passt, das „Konsens“ lautet, „Konsens Kultur“. Es gibt an diesem Votum aber nichts zu mäkeln. Stück und Inszenierung – im Mai auch beim Berliner Theatertreffen – sind tatsächlich Highlights in der oft undurchdringlichen Theatergedankenschwärze.

Über jeden Zweifel erhaben ist auch die Wahl zur Schauspielerin des Jahres: Es ist die junge Burgschauspielerin Stefanie Reinsperger (neun Stimmen), die mit klarer Mehrheit obendrein noch Nachwuchsschauspielerin des Jahres wurde (15 Stimmen). Und zwar für ihre Rollen in der „Lächerlichen Finsternis“ und im reichlich verschlungenen Generationendrama „die unverheiratete“ von Ewald Palmetshofer, an der Burg von Robert Borgmann inszeniert und ebenfalls zum Theatertreffen eingeladen. Borgmann hat der Favoritin im „Theater heute“-Jahrbuch eine leuchtende Hommage geschrieben, die mit dem bemerkenswerten Absatz schließt: „Stefanie Reinsperger hat nach dem ersten, sehr erfolgreichen Jahr am Burgtheater gekündigt, um mit D.D. Parízek ans Wiener Volkstheater zu gehen. Da dachte ich, jetzt hab ich noch mehr Respekt vor dir, Steffi.“

Schauspieler des Jahres: der Berliner Samuel Finzi

Immerhin, wenigstens der Schauspieler des Jahres ist ein Berliner: Samuel Finzi, sechsfach gewählt für seinen Wladimir in Ivan Panteleevs „Warten auf Godot“ am Deutschen Theater. Und ebenso immerhin teilt Frank Castorfs „Baal“-Ausstatter Aleksandar Denic sich das Bühnenbild-Siegerpodest mit Dušan David Parízek (wiederum: „Die lächerliche Finsternis“) und Katrin Nottrodt (für ihren „John Gabriel Borkman“-Bunker am Hamburger Schauspielhaus).

Eine nennenswertere Rolle spielt Berlin erst wieder in der beliebten Kategorie „Ärgerlichste Erfahrung des Jahres“. Hier geht’s munter durcheinander. Das Verbot von Castorfs „Baal“-Inszenierung steht zu Recht neben dem Ingrimm über die zweifelhafte Sparkulturpolitik in Rostock und Dessau. Viele Kritiker nennen aber auch die überhitzte Debatte über die Berufung von Chris Dercon als Castorf-Nachfolger, an der plötzlich kaum einer mehr beteiligt gewesen sein will. Man gibt jetzt lieber den abgeklärten Beobachter. Schon lustig – zumal die Diskussion dringlicher denn je nach Fortsetzung verlangt.

Es gibt im Jahrbuch auch ein Gespräch zwischen Matthias Lilienthal, dem neuen Intendanten der Münchner Kammerspiele, dem kommenden Chef des Düsseldorfer Schauspielhauses Wilfried Schulz, dem umstrittenen Chris Dercon und seiner designierten Programmdirektorin Marietta Piekenbrock. Das Thema: Theater im öffentlichen Raum. Von Dercon hagelt es darin Sätze wie diese: „Für jedes Projekt, das wir indoor machen, wollen wir etwas outdoor anbieten.“ Oder: „Für mich sollte in Berlin jeden Tag ein Festival sein, weil Berlin eine Stadt ist im konsequenten Dialog zwischen Oppositionen. Dialog zwischen Townhouse und Baugruppe, Dialog zwischen Alexanderplatz und Tempelhofer Feld, Ost und West, Nord und Süd.“ Eine Extraprobe vorm Badezimmerspiegel könnte das nächste Mal nicht schaden.

Theater 2015. Jahrbuch von "Theater heute". Der Theaterverlag - Friedrich Berlin, 200 Seiten, 29,50 Euro

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