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Kultur: Krokodilsträume

William Forsythe ist mit seiner neuen Tanztruppe in Dresden angekommen

Von Sandra Luzina

„Ich bin nicht da, wo man mich vermutet“, hat William Forsythe einmal über sich gesagt. In diesem Sommer gilt allerdings: Überall, wo man ihn vermutet, ist der seit langem in Deutschland wirkende Choreograf auch schon da. Die Forsythe Company reist von Festival zu Festival durch Europa (vom 25. bis 28.August ist sie in Berlin beim „Tanz im August“) und macht einen Abstecher nach Japan.

Alle wollen Forsythe – und deshalb gibt’s Forsythe für alle, und sei es in kleinen Dosen. Jetzt hat er seinen Fuß erstmals nach Dresden gesetzt, die Stadt, mit der er eine Zweitehe eingeht und die ihre Tanztradition – Mary Wigman studierte in Hellerau, Gret Palucca gründete hier ihre berühmte Schule – immer noch hochhält.

Neben dem Bockenheimer Depot in Frankfurt wird „The Forsythe Company“ auch das Festspielhaus Hellerau regelmäßig bespielen. Hier sind die Bauarbeiten noch in vollem Gange, im Sommer 2006 soll die Company ihr Domizil beziehen. Ein vorübergehendes Quartier fand die Truppe im Staatsschauspiel. Für die Eröffnung in Dresden wählte Forsythe „The Loss of Small Detail“, eine seiner bildmächtigsten, aber auch sprödesten Arbeiten, uraufgeführt 1987, eine zweite Version entstand 1991. Diesmal hat er dem Werk einen neuen ersten Teil vorangestellt: 17 Minuten Uraufführung als Geschenk an das Dresdner Publikum. Nach dem knapp anderthalbstündigen Bühnenspuk sah man die herbeigeströmten Elevinnen der Palucca-Schule in lebhafte Diskussionen vertieft.

„Loss of Small Detail“ ist eine harte Nuss. Denn hier ist alles Interpretation der Interpretation. Nur fehlt der Schlüssel des Verstehens, jenes kleine Detail. Und so entgleitet der Sinn, rutschen die Körper ins Irrsinnige, den Nonsense. Wenn sich der Blick zu Beginn auf die weiße Bühne öffnet, ist noch alles in schönster Ordnung. Die Tänzer sind in mehreren Reihen aufgestellt, in verschiedenen Grautönen schimmern die mehrlagigen Kostüme von Issey Miyake. Punktuell flackert die Bewegung auf, nach einzelnen Drehwirbeln ist die geometrische Anordung wie weggewischt, die Bühne leergefegt. Aus vielfach variierten Dreh-, Kipp- und Schraubbewegungen entstehen immer neue Kraftfelder. Die Tänzer bestechen durch ihre kinetische Intelligenz und ihre ausgeprägte Individualität. Ein sanfter Rausch bemächtigt sich der Körper, doch letztlich kreist jeder um sich selbst. Der Tanz erscheint extrem flüchtig in seiner Schönheit, doch noch bewegt sich dieser Forsythe-Abend in gemäßigten Klimazonen. Bis die Temperatur auf den Gefrierpunkt sinkt.

Schnee fällt auf die weiße Bühne, eine Schicht des Vergessens. Einige Zeilen des japanischen Dichters Yukio Mishima haben Forsythe zu einer Meditation über das Verschwinden angeregt. Der Zahn der Zeit, so besagen sie, nagt unaufhörlich an den Dingen und verwandelt das, was einmal schön und erhaben war, in eine Komödie. Aus Sprache, Bild und Bewegung konstruiert Forsythe einen Echoraum. Wie eingefroren wirken die Tänzer, taumelnd zwischen den erkalteten Sinn-Ablagerungen. Forsythe lässt die „zeitgenössischen Darsteller“ als „primitive Menschen“ auftreten mit weißen Punkten. Dana Caspersen träumt mit offenen Augen von Krokodilen, verliert sich in monströsen Sexfantasien. Der Schnee – man glaubt es bald selbst – ist schwarz. Den Untergrund jeder Schöpfung bilden Chaos und Zerstörung. Wenn die Musik von Thom Willems zum Schluss aufbrandet, entlädt sich der Tanz in einer schmerzhaften Kakophonie der Körper. Eine hellsichtige Verzweiflung beschwört Forsythe in „Loss“, einen weißen Wahn, dem auch der Zuschauer anheimfällt. Ein verstörendes Stück – mit überwältigenden Bildern.

Seine Installation „Scattered Crowd“ im Dresdner Hygiene-Museum (23. bis 26.Juni) nennt Forsythe „eine Choreografie für jeden“. 4000 Luftballons verwandeln den Raum in eine bewegliche Skulptur, bringen den Betrachter in einen Zustand der Schwerelosigkeit. So bescherte der Choreograf den Dresdnern ein erstes Hochgefühl.

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