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Kultur: Kühl oder schwül

Junge Choreografen in Serie: die Tanztage Berlin 2005 in den Sophiensälen

Von Sandra Luzina

Es kommt einem doch jedes Jahr wie ein Wunder vor: Die Schlangen vor der Kasse der Sophiensäle künden davon, dass die Tanztage Berlin eröffnet sind. Auch in seiner 14. Ausgabe hat das Nachwuchsfestival wieder neue Kräfte mobilisiert. Wer hierhin pilgert, der glaubt an die Erneuerungskraft der Berliner Tanzszene, an ihren nicht nachlassenden Elan, an ihre unerschöpflichen Ressourcen.

Und es funktioniert. Auch diesmal kann die Winterdepression ausgetrieben werden. Die traf uns diesmal besonders hart. Nach der langen Tanznacht Anfang Dezember, die den Charme einer Gebrauchtwagenverkaufsshow hatte, fiel die Tanzszene in eine Art Starre. Französische Veranstalter – so war im Nachhinein zu erfahren – waren so geschockt über die ungeschickte Präsentation, dass sie erwogen, die Deutschen mit einem zweijährigen Boykott zu belegen.

Unerschütterliche Zuversicht strahlt Barbara Friedrich aus, die die Tanztage Anfang der Neunzigerjahre in den beengten Räumen des Pfefferbergs aus der Taufe hob. Schnell gelang es ihr, den jungen Künstlern eine hohe Aufmerksamkeit zu verschaffen. Damals wie heute reagiert das kleine Festival auf eine Lücke im deutschen Ausbildungssystem. Während beispielsweise in den Niederlanden die Absolventen von Tanzakademien bei ihrem choreografischen Debüt mit einer kleinen Summe gefördert werden und ihnen zudem die Theater offen stehen, sind die deutschen auf sich gestellt. Barbara Friedrich setzt da an, indem sie den Anfängern nicht nur eine Auftrittsmöglichkeit bietet, sondern einige Projekte auch mit einer Anschubfinanzierung versieht. Im Laufe der Jahre hat sich die Produzentin auch international einen Ruf als Talent-Scout erworben. In diesem Jahr, resümiert Friedrich, steht die Auseinandersetzung mit der Bewegung wieder im Vordergrund. Das war schon mal anders: Wir erinnern uns an Jahrgänge im Paarungsfieber. Momentan wirken viele Produktionen nüchtern und unterkühlt, nur dann und wann erlaubt man sich einen kleinen Tanzrausch – meist allein.

Den Auftakt machte die Pilotfolge der so genannten Tanzserie „BOB“. Ausgedacht hat sich das die Gruppe Lupita Pulpo: Dahinter stecken Felix Marchand, der aus Martin Nachbars hinreißender Jandl-Choreografie „JA, JA (Der dritte Mann)“ noch in bester Erinnerung ist, und Ayara Hernández aus Uruguay. Wer oder was ist Bob? Was ist sein Problem? Taugt er überhaupt als Serienheld? Hier fassen sich die Tänzer bedenklich oft an den Kopf, markieren Positionen Klebeband, flattern mit den Knien. Ob weitere Folgen Aufklärung bringen?

Für Begeisterung sorgte das Duo „Vexier“ von Friederike Plafki und Zufit Simon. Eine Bewegungsrecherche, präzise und analytisch. Der Körper wird in kleinste Elemente zergliedert. Strukturbesessen und zugleich spielerisch ist der Tanz. Dabei entwickelt sich eine spannende Annäherung zwischen zwei unterschiedlich temperierten Tänzerinnen. Von Plafki, die schon mit „Kühlkuhgenese“ auf sich aufmerksam machte, wird man sicher noch hören.

Ein Versprechen ist auch Anna-Luise Recke. Zierlich und mädchenhaft, wird sie auf der Bühne zur Pantherin. In Produktionen von Christoph Winkler und Summer fiel sie auf, nun widmet ihr Caroline Picard eine Hommage. „Anna-Luise“ beginnt als eine Yoga-inspirierte Meditationsübung, wo die Tänzerin sich schlangengleich über den Boden schiebt und wieder aufrichtet. In spiralförmigen Bewegungen wirbelt sie dann durch den Raum – ein Versuch in Trance. Das ist choreografisch noch nicht ganz flüssig und rund, doch Anna-Luise Recke beeindruckt in ihrer kontrollierten Wildheit.

Der Abend „Junge Choreografen“ versammelt am Wochenende Arbeiten von fünf Talenten, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben (7. und 8. Januar). Anne Retzlaff, die uns vor drei Jahren mit „Wodka Kola“ in einen sanften Rausch versetzte, zeigt am heutigen Mittwoch die Tanz-Film-Performance „White“, eine moderne Club-Version des Balletts „Giselle“ (5. Januar). Ob die Tänzer nun wieder mehr Gefühl wagen? Das ist das Schöne an den Tanztagen: Hier darf man ungestraft alles ausprobieren.

(Bis 14. Januar in den Sophiensälen.

Infos: www.tanztage.de)

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