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Kultur: Kühle Seelenlandschaft

Abenteuer Liebe: Rivka Galchens Debütroman

Schon das dem Buch vorangestellte Motto eröffnet das verwirrende Spiel, das die in Toronto geborene und in den USA lebende Autorin Rivka Galchen in ihrem Debütroman inszeniert. Es stammt von einem Meteorologen namens Tzvi Gal-Chen und behauptet, dass wir nicht wissen könnten, wie das Wetter morgen aussehen würde, weil wir nicht exakt genug wüssten, wie es jetzt gerade sei. Nun ist es ja in gesellschaftlichen Zusammenhängen stets so, dass man beginnt, über das Wetter zu reden, wenn einem sonst gar nichts mehr einfällt. Das verhält sich in diesem Fall jedoch anders. Und jener Tzvi Gal-Chen, der auch im Roman selbst eine wesentliche Rolle spielt, ist der 1994 verstorbene Vater der Autorin, der tatsächlich Meteorologe war. Man darf sich also zu keinem Zeitpunkt sicher sein, welchen Boden man bei Rivka Galchen unter den Füßen hat – den der Fiktion oder den der Realität oder gleich mehrere übereinander.

So verhält es sich auch mit Galchens Protagonisten, dem New Yorker Psychiater Dr. Leo Liebermann. Dem ergeht es eines Tages so: „Letzten Dezember kam eine Frau in meine Wohnung, die genauso aussah wie meine Frau.“ Das Problem ist: Liebermann ist überzeugt davon, dass man ihm ein Simulacrum, eine Doppelgängerin, untergeschoben hat. Er sucht und findet Hinweise für seinen Verdacht und begibt sich schließlich auf die Suche nach der „echten“ Rema, die ihn in ihrer Heimat Argentinien auf eine so kuriose wie abenteuerliche Reise führt. Hinter alldem, so scheint es, steht eine große Verschwörung, die, womit man wieder am Anfang ist, mit dem Wetter zu tun hat.

Blitzgescheit sind sowohl der kühn und kühl konstruierte Roman als auch seine Autorin; knallhart geschult an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und postmodernen Erzähltheorien und Existenzmodellen. Irgendwann kommt der Verdacht auf, dass das nun auch wirklich jeder mitbekommen soll. Und man ahnt, worum es hinter all dem gelehrten Geklingel tatsächlich geht: „Ganz Argentinien“, sagt Rema während einer ihrer ersten Begegnungen zu Liebermann, „stellt eine Seelenlandschaft dar.“ So lässt sich „Atmosphärische Störungen“ sowohl als verwirrende Abenteuer- als auch als ironische Liebesgeschichte lesen. Beiden hätte allerdings eine Spur mehr Seele gutgetan. Christoph Schröder

Rivka Galchen:

Atmosphärische

Störungen. Roman.

Aus dem Englischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag,

Reinbek 2010.

318 Seiten, 19,95 €.

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