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Kultur: Küssen, schreien, leiden

Pier Paolo Pasolini und der Tod: Münchens Pinakothek der Moderne widmet sich dem letzten Akt des italienischen Regisseurs

„Und wenn ich dir meine dunkle Seite zeige, wirst du mich dann heute Nacht noch in deinen Armen halten und wenn ich dir mein Herz öffne und dir meine schwache Seite zeige, was würdest du tun?...Ich hielt die Klinge in meinen zitternden Händen, wollte es tun, aber dann klingelte das Telefon ich hatte nie die Nerven, den endgültigen Schnitt zu machen.“ Ein anderer hat ihn getan, diesen letzten Schnitt, 20 Mal in seinen Filmen – und schließlich in äußerster Konsequenz mit seinem Tod, der einem Martyrium gleichkam: Pier Paolo Pasolini, der viel begabte italienische Regisseur, Schriftsteller, Dichter, Denker, Maler, Zeichner, Schauspieler, Journalist, der am 5. März in Bologna als Sohn eines Infanterieoffiziers und einer Grundschullehrerin geboren, am 2. November 1975 grausam ermordet wurde.

Das 1983 erschienene Album von Pink Floyd, „The Final Cut“, aus dessen Titelsong die Anfangszeilen stammen, ist das wohl melancholischste der britischen Rockband. Bandleader Roger Waters, der es überwiegend komponiert hat, widmete es seinem im Zweiten Weltkrieg gefallenen Vater „als Requiem für den Nachkriegstraum“. Wie „The Final Cut“ vor allem durch Klänge am Rande des Schweigens berührt, so zeichnet Pasolinis gesamtes Werk eine Schönheit des pathetischen Innehaltens aus, eine Ästhetik der Hingabe und des „gedehnten Augenblicks“, wie Bernhart Schwenk feststellt. Zusammen mit Michael Semff hat Schwenk die großartige Ausstellung „P. P. P. – Pier Paolo Pasolini und der Tod“ in der Münchner Pinakothek der Moderne ausgerichtet.

Pasolini wollte das absolute Bild, in jeder Filmeinstellung, mit jeder Skizze. So wie er das totale Leben begehrte, das einen ebenso kompromisslosen Tod forderte, das perfekte Opfer. Um seinen rätselhaften Tod vor dreißig Jahren kreist auch die Schau, die sich in einfühlsamer Dramaturgie auf Pasolinis Bildproduktion konzentriert. Ihr ordnet sie ausgewählte Texte und Verse zu.

Damals, in der Nacht des 2. November 1975, einem Allerseelen-Sonntag, war Pasolini auf dem Fußballplatz von Ostia erschlagen und anschließend dreifach von seinem eigenen Wagen überfahren worden. Als Mörder wurde ein Strichjunge verurteilt, der seine Aussage im Mai 2005 widerrief. So rückt nun die These von Pasolinis Freund, dem Maler, Grafiker und Schriftsteller Giuseppe Zigaina in den Vordergrund, der P. P. P. als Auftraggeber seines Sterbens begreift. Der Tod als „Werk des Autors“, mit dem sich dieses erst vollendete.

Für diese Annahme sprechen nicht nur zahlreiche Verweise von Pasolini selbst, sondern zuallererst seine Idee des Künstlers als eines Visionärs, der die Welt retten will, in dem er sie nach seinem Bild neu erschafft. Pasolini war sich der Maßlosigkeit seines Anspruchs bewusst. Aber er begriff sich deshalb nicht als tragischer Held, sondern als kühl kontrollierender Regisseur seiner künstlerischen Existenz, deren grandiose Schlussszene unweigerlich die des eigenen Todes sein musste.

Doch warum so brutal, warum diese Qualen, die Verstümmelung des Körpers? Wie detailliert Pasolinis Anweisungen für sein Finale waren, wird möglicherweise nie rekonstruiert werden können. Kannte er seine Mörder, hat er sie provoziert? Für ihn, den Kenner der griechischen Mythologie wie der christlichen Mystik und der Bibel, der die säkulare Fortschrittsgläubigkeit der Moderne verabscheute und die wachsende Macht der Medien als Kulturbarbarei verurteilte, waren Tod und Sterben jedenfalls archaisch gegenwärtige, vitale Urenergien, wie Geburt und Sexualität. Von ihrer zerstörerischen ebenso wie Lust und Glück schenkenden Macht handeln Pasolinis Theorien und seine Kunst. Den eigenen Tod als „rein intellektuellen Krimi“ zu konzipieren, war für ihn eine rationale Entscheidung, das Gegenteil einer Verzweiflungstat oder eines Skandals.

„Der Tod macht eine fulminante Montage aus unserem Leben.“ Der Satz aus Pasolinis „Ketzererfahrungen“ strukturiert auch die Ausstellung, für die im zweiten Raum eine luxuriöse Kinorotunde aus zwölf großen Leinwänden installiert ist. In einer Collage aus Szenen seiner zwanzig, seit 1961 entstandenen Filme erschließt sich Pasolinis Ästhetik der Stilisierung und Ritualisierung um der größtmöglichen Intensität der Bilder willen.

In der Motivfolge aus Küssen, Tanzen, Lachen, Weinen, Schreien, Verlangen, Leiden und Sterben, dazu Naturpanoramen von karstiger, unberührter Wildheit und der Architektur der Landstraßen, auf der Menschen ankommen und weggehen, verdichtet sich ein heroischer Bilderkosmos. Ein Kosmos aus Schuld und Liebe, Erniedrigung und Erhabenheit, Gemeinheit und Reinheit, Brutalität und Zärtlichkeit. Es sind mit Emotionen und Körperlichkeit aufgeladene, statuarische Bilder – Ikonen, „kurz vor der Explosion“, wie Pasolini schrieb: „Wenn ich einen Film mache, dann versetze ich mich in einen Zustand der Faszination vor einem Objekt, einer Sache, einem Gesicht, einer Landschaft, als wäre es ein Triebwerk, wo das Heilige unmittelbar vor der Explosion stände.“

Es erstaunt nicht, dass Pasolinis bevorzugte Bildquellen die feierlich-höfischen Fresken Giottos und Masaccios, die Gemälde Piero della Francesca, Mantegnas und Caravaggios waren. Wie aus der Zeit gefallen, allgemein gültig und klassisch sind auch seine stilllebenhaften Gemälde, Zeichnungen und Skizzen. „Als Kraft der Vergangenheit..., aber auch moderner als jeder Moderne“, charakterisierte er sich selbst einmal.

Unter anderem auch deshalb idealisierte Pasolini Frauen, überhöhte sie zu Madonnen, huldigte ihnen als beschützenden, tröstenden Müttern und Huren und vergötterte sie wie Maria Callas als Diva, Muse und Alter Ego. Die Porträtskizzen, die er von ihr machte, sind – fernab aller Todesdüsternis – pure Poesie.

Pinakothek der Moderne, München, bis 5. Februar, Katalog (Hatje Cantz) 35 Euro

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