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Prekarisierte Dauercamper. Léonard Bertholet, Kiriakos Hadjiioannou und Anja Meser. Foto: K. Seibt/F. Kalz/Collage: J. Grygoriewp

© K. Seibt/F. Kalz/Collage: J. Grygoirewp

"Kuhle Wampe", der Film im Theater: Zelte der Solidarität

Diskurstheater: Kiriakos Hadjiionannou erforscht die Aktualität des Filmklassikers „Kuhle Wampe“.

Aus dem Film, der an diesem Abend nicht gezeigt wird, sind über 51 Meter entfernt worden. Unter anderem fielen solche Szenen der Zensur zum Opfer, die nahelegten, Staat und Wirtschaft seien schuld an der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich. Unerhört. Als ebenso untragbar wurden Kritik an der SPD, Verächtlichmachung der Justiz sowie Nacktbadeszenen angesehen. Ganz zu schweigen von einer Spendensammlung für die 90 Mark, die damals eine Abtreibung kostete. Entsittlichung!

Ein aufrührerisches „Obdachlosen- Lied“ schmissen die Filmemacher vorsorglich sogar selbst raus, aus Angst vor einem Generalverbot ihres proletarischen Tonfilms. Immerhin konnte „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?“ 1932 derart bereinigt noch über die Leinwände der Weimarer Republik gehen. Die Nazis verboten das Werk von Slatan Dudow, an dessen Drehbuch Bertolt Brecht mitgewirkt und zu dem Hanns Eisler die Musik komponiert hatte, 1933 schließlich ganz. Zum Schutz von Volk und Staat.

Kiriakos Hadjiionannou hat auch ein Tanzstück aus "Kuhle Wampe" gemacht

Den Zeltplatz nahe dem Großen Müggelsee, dem der Film seinen Titel verdankt, gibt es noch immer. „Kuhle Wampe“, das bezieht sich in Berliner Mundart auf die kühle bauchförmige Bucht und kann außerdem leerer Magen bedeuten. Am Eingang dieses idyllischen Refugiums erinnert stolz eine Tafel an den seligen BB. Von den Verhältnissen zu Weltwirtschaftskrisen-Zeiten, die Brecht, Dudow und Genossen mit ihrem proletarischen Empowerment anprangern wollten, sind wir heute allerdings weit entfernt. Oder doch nicht? Es gibt ja kluge Köpfe, die uns in einer Weimarer Republik in Zeitlupe wähnen. Von solchen Prämissen, unter anderem, geht das Performer-Team um den Regisseur und Choreografen Kiriakos Hadjiionannou aus. Der hat sich vor ein paar Jahren zum ersten Mal mit dem Dudow-Film befasst und aus dessen zentralen Szenen ein Tanzstück komponiert. Jetzt führt er – unter Schirmherrschaft der Sophiensäle – das Projekt „Kuhle Wampe“ am Originalschauplatz fort.

Das zu großen Teilen griechischstämmige Team spielt wiederum nicht einfach die Geschichte der Arbeiterfamilie Bönike nach. Die fliegt, nur zur Erinnerung, aus ihrer Berliner Wohnung, nachdem der Sohn sich aus Verzweiflung über seine Arbeitslosigkeit das Leben genommen hat, und kommt in der Dauerkolonie Kuhle Wampe unter. Die ungewollte Schwangerschaft von Tochter Anni besorgt dazu den einen Schuss Melodramatik. Was die zehnköpfige Künstler-Brigade aber viel mehr interessiert, ist das zentrale Motiv der Solidarität unter den Prekarisierten. Das wird hier auf Gegenwartsgültigkeit abgeklopft – unter besonderer Berücksichtigung des herrschenden Raubtier-Kapitalismus.

Die Kuhle Wampe ist immer noch ein seltsam abgelegener Ort

Performer Malte Scholz zum Beispiel erklimmt ein Dach und trägt mit Pamphlet-Furor den (real verbürgten) Kündigungsbrief eines Währungsfonds-Managers vor, der in apokalyptischen Worten das menschenverachtende Treiben des IWF beschreibt. Die Künstlerin, Aktivistin und Journalistin Margarita Tsomou führt eine Zuschauergruppe durch den angrenzenden Wald und erzählt dabei von den neuen Solidaritätsformen, die im krisengeschüttelten Griechenland entstehen: von der Umsonst-Apotheke bis zur kostenlosen Musikschule. Dazwischen lockern Tanzszenen auf – etwa die Choreografie des Suizids aus „Kuhle Wampe“ –, die aber in guter alter Brecht-Manier gebrochen und gegen Einfühlungskitsch immunisiert werden: „Überhaupt keine Liebe zur Figur“, kommentiert eine Kollegin mit kritischem Bewusstsein.

Zwei große Reize hat dieser Abend: zum einen den Grundernst, mit dem hier zu gelegentlichen Eisler-Einlagen („Das Spiel der Geschlechter erneuert sich“) linkes Diskurstheater betrieben wird. Zum anderen den großartigen Schauplatz. Die „Kuhle Wampe“ ist zwar heute keine kommunistische Hochburg mehr. Aber immer noch ein seltsam abgelegener Ort voller Dauerbewohner, bei denen man sich nicht ganz sicher ist, ob sie durch Eislers Arbeiterlieder zu agitieren wären („Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht!“). Aber das war schon in den Dreißigern nicht wirklich anders. Schon damals befürchteten die Gartenkolonisten vor allem, das Film-Team könnte ihnen die Rabatten zertrampeln.

wieder: heute, 14 u. 18 Uhr, Zeltplatz Kuhle Wampe, Straße zur Krampenburg

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