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Gründungsort der "Koalition der Freien Szene": Das Radialsystem in Friedrichshain

© Doris Spiekermann-Klaas

Kultur in der Hauptstadt: Was die Wahl für Berlins Freie Szene bedeutet

Berlin hat gewählt - was bedeuten die Ergebnisse für die Freie Szene der Stadt? Welche Baustellen bleiben, welche Herausforderungen kommen jetzt auf sie zu?

Eine Wahlniederlage hat auch die Koalition der Freien Szene hinnehmen müssen. Der von ihr mit initiierte Aufruf gegen Rechtspopulismus und die AfD, dem sich namhafte Kulturschaffende angeschlossen haben – von der Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel bis Opernintendant Barry Kosky –, hat die 14 Prozent AfD-Stimmen auch nicht verhindern können. „Furchtbar“, sagt Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der Freien Szene. Das muss er im Gespräch über die Berlin-Wahl und ihre mögliche Bedeutung erst mal loswerden. Wobei politische Sammelbecken für verwirrte Sorgenbürger natürlich nicht die Freie- Szene-Agenda der näheren Zukunft bestimmen werden. Hoffentlich jedenfalls.

Die Zeit unmittelbar nach einer Wahl ist ja immer eine Phase der Neuorientierung. Nicht nur für Politiker, sondern auch für Aktivisten. „Man arbeitet mit konkreten Menschen und konkreten Konstellationen zusammen“, so Knoch. „Und die kennen wir im Moment einfach noch nicht“. Bleibt Michael Müller Kultursenator? Verabschiedet sich Tim Renner als Staatssekretär? Wird ein neues Ressort für den Kultursenator geschaffen? Optionen mit Vor- und Nachteilen.

Nichts erledigt, aber vieles errungen

„Nichts ist erledigt“ – diesen von Klaus Staeck entliehenen Slogan hat sich die Koalition der Freien Szene auf die Fahne geschrieben. Es gab im Vorfeld der Wahl eine Veranstaltung im Radialsystem, zu der sie mit dem Rat für die Künste geladen hatte. Dort saßen die Spitzenkandidaten der Parteien beziehungsweise deren Vertreter und stellten sich Fragen der bequemen Sorte. Zum Publikumsliebling avancierte Pirat Bruno Kramm, der gebetsmühlenhaft wiederholte, in Berlin lebten so viele Kunstschaffende, die sich nicht mal eine Krankenversicherung leisten könnten. Entworfen wurde unter Beifall das Bild einer Mondlandschaft, durch die hustende Hungerkünstler irren. Und man dachte nur: Euch geht’s wohl zu gut.

Nichts ist erledigt? Mag sein. Aber vieles ist errungen. Auch Christophe Knoch benennt: „Wir haben erreicht, dass von der Freien Szene gesprochen wird, nicht mehr von Off- oder Alternativ-Kunst.“ Ein Wahrnehmungsplus, das Augenhöhe garantiert. Überhaupt sind nicht wenige Ideen und Impulse, die von der 2012 gegründeten Koalition der Freien Szene ausgingen, mittlerweile Bestandteil der Berliner Kulturpolitik. Es fließen immerhin 3,5 Millionen Euro pro Jahr aus der City Tax, von denen überwiegend die Freie Szene profitiert. Es gibt Honoraruntergrenzen in der darstellenden Kunst, Ausstellungshonorare in der bildenden Kunst, mehr Geld für neue Musik und für die sogenannten Ankerinstitutionen wie HAU und KunstWerke. Alles in allem weit mehr, als man selbst bei optimistischer Einschätzung hätte erwarten dürfen.

In Berlin gibt es kaum noch freie Räume. Die Zeit der Brachen ist vorbei

Gründungsort der "Koalition der Freien Szene": Das Radialsystem in Friedrichshain
Gründungsort der "Koalition der Freien Szene": Das Radialsystem in Friedrichshain

© Doris Spiekermann-Klaas

Klar, die Koalition verlangt weiterhin: 100 Prozent der City Tax für die Kultur. 50 Prozent davon für die Freie Szene. „Vielleicht ist es nicht so sexy, mehr Geld zu fordern“, räumt Knoch ein. Aber das mache es auch nicht falsch. Stimmt. Die Diskussion über die Verteilung der City- Tax-Gelder am Laufen zu halten, ergibt zum einen Sinn, weil ihre Geschichte eine der gebrochenen Versprechen ist. Und zum anderen, weil das gesamte Fördersystem Berlins nach wie vor optimierbar wäre, strukturell wie finanziell. Ganz abgesehen davon würde eine Koalition der Freien Szene ohne Kampagne sich selbst überflüssig machen. Dass ihre Forderungen vollständig erfüllt werden, ist allerdings ungefähr so wahrscheinlich wie eine AfD, die sich noch mal ihr eigenes Parteiprogramm durchliest und vor Schreck selbst auflöst.

Baustellen bleiben viele. Da ist zum Beispiel der neu zu verhandelnde Hauptstadtkulturvertrag – und damit verbunden die Frage nach der Zukunft des Hauptstadtkulturfonds (HKF). Der ächzt ja unter den vielen Festivals, die regelmäßig aus seinem Etat gefördert werden, obwohl er dafür nie gedacht war. Poesiefestival, Literaturfestival, Tanz im August, Young Euro Classics – alles Veranstaltungen, die jährlich mit Hunderttausenden aus dem 10-Millionen-Topf alimentiert werden. „Einen Festivalfonds, wie wir ihn seit Langem fordern, gibt es immer noch nicht“, beklagt völlig zu Recht Andreas Altenhof, Sprecher des Rates für die Künste. Stattdessen finde ein leidiger „Fördertourismus“ zwischen dem HKF und der neuen „Spartenübergreifenden Förderung“, sprich: dem City-Tax-Fonds statt.

Entscheidende Frage nach Partizipation

Die große Krux der Zukunft sind die Liegenschaften. Sicher, es gibt einen Atelierbeauftragten in Berlin, auch mehrere Raumbeauftragte für die anderen Sparten. Aber Altenhof betont: „Das Berlin der Brachen ist Geschichte.“ Um die verbleibenden Freiräume wird zäh gerungen, wie aktuell um das „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz. Für den 40 000-Quadratmeter-Bau gibt es tolle Pläne, etwa von der Initiative Stadt Neudenken. Aber wie Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel im Radialsystem mit dem Frohsinn eines Menschen im Zahnarzt-Wartezimmer erzählte, muss er dem Bund die Immobilie in langwierigen Verhandlungen abschwatzen – unter der Maßgabe, dass 24 Prozent der Fläche für Kultur, die übrigen 76 Prozent für Verwaltung genutzt werden. Geisels Haltung gegenüber der Freien Szene: lasst mich die Hütte erstmal kaufen, dann sehen wir weiter.

Was zur dritten und entscheiden Frage führt: der nach Partizipation. Die wohl größte Errungenschaft der Koalition der Freien Szene ist ja, dass sie heute selbstverständlich mit am Verhandlungstisch sitzt, wenn über Geld und Räume in ihrem Feld beraten wird. Das war zu Zeiten der Gutsherren Wowereit und Schmitz noch anders. Und macht Hoffnung auf mehr Transparenz. „Die Bürger einer Stadt wollen offene Diskussionen“, so Knoch. „Der Mangel daran ist vielleicht einer der Gründe für das beeindruckend schlechte Abschneiden der beiden großen Parteien.“

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