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Kultur: "Kultur Schock": eine Tagung mit Peter Sloterdijk und Alain Finkielkraut in der Berliner LiteraturWerkstatt

Ein anonymes Zimmer im Schachtelhotel, irgendwo auf der Welt; konfektioniert, austauschbar.Ein Weltbürger, Architekt, blättert in seiner Agenda, um anhand des Reiseplans festzustellen, wo er sich befindet.

Ein anonymes Zimmer im Schachtelhotel, irgendwo auf der Welt; konfektioniert, austauschbar.Ein Weltbürger, Architekt, blättert in seiner Agenda, um anhand des Reiseplans festzustellen, wo er sich befindet.Ihn überkommt Heimweh.Bei der Rückkehr zu seiner Familie stolpert er über eine Legoburg, die den von ihm geplanten Schachtelhäusern gleicht, und wird von seinem aufgeschreckten Sohn als Dieb erkannt.Diese Anekdote, mit der der Kulturtheoretiker Martin Burkhardt in das unheimliche Heimweh der Moderne einführte, enthält die Ingredenzien der Angst des auf Jetztzeit gepolten Menschen: Fremdheit, Verlusterfahrung und das beklemmende Gefühl, Rückkehr könne eben keine Heimkehr mehr sein.

Heimweh kann bekanntlich krank machen.Von Heimweh "überflutet" zu werden, ist ein Schock, der in der nomadischen Kultur des ausgehenden 20.Jahrhunderts wie ein Fremdkörper wirkt, rück- und widerständig zugleich.Diese Schockerfahrung, die schmerzhafte Einsicht, daß reine Gegenwärtigkeit unmöglich ist, stand im Mittelpunkt der dritten Veranstaltung zum Thema "Kultur Schock" der literaturWerkstatt Pankow.Der Begriff "Heimweh" stammt, wie die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun ihre Zuhörer unterrichtete, aus der Schweiz.Dort übrigens sagen die Leute, wenn sie umziehen, "zügeln", und in diesem Wort steckt noch etwas von der Doppeldeutigkeit, die jedes Weggehen hat, der Kopf ist quasi noch nach hinten gewendet.

Eben dieser Blick zurück ist, wie der Soziologe Dietmar Kamper meint, im "Umzugsschmerz" der Moderne gelöscht zugunsten einer Mentalität, die das "Lob der Fremde" kultiviert.Das seit der Aufklärung formulierte Recht, nicht dasein zu müssen, alle Bindungen zu kappen und den Transit zur einzig konstanten Daseinsform zu erklären, birgt die Hypothek, daß der auf "Durchzug" gestellte, unbehauste Körper orientierungslos dahintreibt.So bringt die aufklärerische Selbstemanzipation eine Vergessenskultur hervor, in deren Licht die ursprüngliche Austreibung aus dem Paradies eher wie eine überstürzte Flucht erscheint.

Der Sturz nach allen Seiten ins Bodenlose indessen ist nach Kampers melancholischer Diagnose unumkehrbar, die Rückkehr ins Paradies ist weder möglich noch wünschenswert.Der Stachel, den das Heimweh im Denken der Philosophen hinterlassen hat, wurde gelökt von Peter Sloterdijk, der auf die verflixte Neigung des "zoon politikon" verwies, immer dort, wo er gerade sei, "Beziehungstreibhäuser" herzustellen und jeweils das, was außerhalb dieser Grenzen läge, als Umwelt und fremd wahrzunehmen.Das erste Sozialprodukt, das Menschen überhaupt geschaffen haben, so der in Karlsruhe lehrende Philosoph, sei das soziale Klima in "Vertrautheitssphären" gewesen.Die Krux dieser "Urbehälter", die Sloterdijk umstandslos mit der "Klausur in der Mutter" kurzschloß, sei, daß sie sowohl an eine bequeme Situation erinnerten als auch klaustrophobische Gefühle hervorriefen.Die Selbstbefreiung aus dieser existentiellen Enge ist das prominenteste Projekt der Moderne, und der Verlust des Urgrundes wird erst fühlbar, wenn er verlassen worden ist.

Dieses Paradox führte der französiche Publizist Alain Finkielkraut am Beispiel Jean Amérys vor.Der von den Nazis verfolgte, nach Frankreich exilierte österreichische Jude, der in der anti-romantischen Tradition Sartres steht, hat die Austreibung aus dem "Paradies" und das Gefühl des Ausgesetztseins in der Fremde am eigenen Leib erfahren.Heimweh erlebte Améry als Selbstentfremdung in einer Situation, wo er das, was er eigentlich entbehren zu können glaubte, als Mangel empfand: Heimat.Als "personne déplacé" blieb ihm nur die eigene Sprache, die ihm erlaubte, sich zu leben, indem er erzählt.Finkielkrauts emphatisches Plädoyer für die (National)sprache und einen "kulturellen Internationalismus im sicheren Rahmen nationaler Grenzen" blieb im Auditorium zwar nicht unwidersprochen, doch es verwies auf ein Problem, das erst in der Schlußrunde noch einmal aufgenommen wurde: Ist Heimweh ausschließlich ein Phänomen der "Raumgenossenschaft" mit allen negativen Begleiterscheinungen wie Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, oder hat es nicht auch eine zeitliche Dimension, die gerade aus der produktiven Differenz zwischen dem Jetzt und dem was war und sein könnte resultiert?

Christina von Braun war es, die wiederholt auf die Geschichtlichkeit des Heimwehs insistierte.Berlin selbst sei ein exponierter Schauplatz dieser Umwertungen: Was ursprünglich als fremd und "geheim" galt wie die Flüchtlings- und Künstlerkolonien in Mitte wurde im Zuge romantischer Aneignungen okkupiert und zum Nutzen der eigenen Selbstvergewisserung eingemeindet.Die künstlerischen Strategien dagegen zielten immer wieder darauf, fremd zu machen, das Geheimnis wiederherzustellen, Sehnsucht zu nähren."Geheimweh" nennt von Braun diesen widersprüchlichen Prozeß, in dem sich die "Abwehr von" und die "Sehnsucht nach" manifestiert.

Heimweh ist die Wunde im Körper der Moderne, denn es erinnert daran, daß das freiwillige oder erzwungene Losreißen verbunden ist mit Schmerz.Das moderne Training schmerzloser Abschiede bleibt denen vorbehalten, die auf sicherem Terrain stehen.Damit mag auch der verhaltene Unmut, der sich am Samstagabend gegen die bestallten Gralshüter des Geistes richtete, zu tun haben.Zumal der Veranstaltungsort, die alte Becher-Villa in Pankow, daran erinnerte, daß auch dieser Abschied nicht schmerzfrei war und "Heimweh", wie jüngst wieder einmal belegt wurde, zur Grundbefindlichkeit in Ostdeutschland avanciert.

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