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Darf ruhig ein bisschen was kosten: Probenszene im Münchner Residenztheater zu Bertolt Brechts Stück "Baal".

© dpa

Kulturförderung: Kunst ist mehr als Garnitur

Wer Kultur als Sahnehäubchen begreift, als Luxus, den man sich allenfalls in wirtschaftlichen Schönwetterperioden leisten kann, hat von ihrem Wesen wenig verstanden. Kultur muss sich nicht rechnen! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Wolfgang Prosinger

Es gab Unmut. Seit vielen, vielen Jahren schon. München, so stolz auf seine besondere Pflege der Künste, ausgerechnet diese Stadt hat einen Konzertsaal, der den Namen kaum verdient. Ein Haus mit bescheidener Akustik, eigentlich, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“, eher eine Mehrzweckhalle. Deshalb sollte endlich ein neuer Raum her, angemessen den Münchner Musikverhältnissen. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte den Neubau versprochen.
Doch auf einmal, es ist gerade drei Wochen her, wollte Seehofer von einem Versprechen nichts mehr wissen. Und er gewann für seinen Wortbruch einen Verbündeten – über Parteigrenzen hinweg: den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD. Kein Neubau, verkündeten die beiden nun, stattdessen nur eine Sanierung des alten Saals. Dadurch könnten Millionen gespart werden. Und die beiden waren sich sicher, dass der Beifall lang und laut sein würde: Endlich wagen es Politiker einmal, Hand an die ohnehin übersubventionierte Hochkultur zu legen, dieses Elite-Fass ohne Boden, und es für Sinnvolleres auszugeben, für marode Schulen, Kitas, für den Wohnungsbau. Wer wollte dagegen sein?
Ziemlich viele. Seit der Entscheidung fegt ein Proteststurm durch München, wie ihn keiner vermutet hatte und wie man ihn der als behäbig und satt verschrieenen Stadt nicht zugetraut hatte. Dirigenten empören sich, Daniel Barenboim, Zubin Mehta, Simon Rattle, Kirill Petrenko, Mariss Jansons, der Ästhetikprofessor Bazon Brock, die Geigerin Anne-Sophie Mutter: „Wenn man in der Staatskanzlei denken sollte, dass das so ein kleines Münchner Thema ist, irrt man gewaltig. Das ist ein Top-Thema, für das man sich in ganz Europa interessiert.“
Aber auch ganz normale Bürger sind auf den Barrikaden, täglich gehen Spendenangebote ein, hohe, sehr hohe Summen sind dabei. Und die beiden Verantwortlichen, Seehofer und Reiter, fallen inzwischen durch beredtes Schweigen auf.

Kultur ist unmittelbarer Ausdruck des Menschseins, tiefes Bedürfnis nach Gestaltung

Wieder einmal steht zur Debatte, wie viel Geld eine Gesellschaft für Kultur ausgeben soll – eine Diskussion, die auch in Berlin wohlbekannt ist. Oder in Rostock, wo gerade ein Theater halbiert wurde. Oder in Baden-Württemberg, wo es dem SWR-Orchester an den Kragen ging. Wieder einmal wird sichtbar, wie groß die Missverständnisse vor allem bei Politikern in Sachen Kultur oft sind. Sie wird von ihnen weithin als Garnitur begriffen. Man lässt zur Feierstunde ein Streichquartett aufmarschieren. Man veredelt eine Geburtstagseinladung mit einem Koloratursopran. Man adelt ein Ministeriumsfoyer mit einem Wandgemälde. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Kunst hat auch einen dekorativen Charakter. Aber eben nur auch.
Wer Kultur als Sahnehäubchen begreift, als Luxus, den man sich allenfalls in wirtschaftlichen Schönwetterperioden leisten kann, hat von ihrem Wesen wenig verstanden. Kultur ist unmittelbarer Ausdruck des Menschseins, tiefes Bedürfnis nach Gestaltung, nach Erkenntnis, nach Identitätsgewinnung, nach Auseinandersetzung; der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Deshalb sind die Versuche, die Künste unter die Notwendigkeiten der Ökonomie zu stellen, mehr als ein Eingriff in einen, wie man sagt, finanziell in Deutschland ohnehin gut gepolsterten Kulturbetrieb. Sie beweisen einen grundsätzlichen Irrtum. Der lautet: Kultur muss sich rechnen. Natürlich rechnet sich Kultur nicht, jedenfalls nicht in der Regel.
Wollte wirklich jemand auf die Idee kommen, die Akropolis in Athen verfallen zu lassen oder die Tempel im Tal von Agrigent, weil die Erhaltung Geld kostet? Natürlich nicht. Schon das Ansinnen wäre vulgär. Es erniedrigte das Menschsein.
Besonders ärgerlich bei solchen Diskussionen ist, dass immer wieder die sogenannte Hochkultur gegen die sogenannte populäre Kultur ausgespielt wird. 45.000 Menschen sind allein in Berlin zum letzten Klassik-Open-Air geströmt; deutsche Museen verzeichnen mehr Besucher pro Jahr als alle Bundesliga-Spiele zusammen. – auch sie übrigens durchaus ein Kulturgut.
Und die Kosten? Sie sind immens, keine Frage. Aber hat sich jemand schon mal die Mühe gemacht, die Kosten auszurechnen, die – um beim Fußball zu bleiben – ein normaler Spielbetrieb verursacht, von der Gewährleistung der Sicherheit bis zu kommunalen Transportleistungen? Das Erstaunen wäre vermutlich nicht gering. Aber es wäre ein ganz falsches Erstaunen. Das Geld ist, hier wie dort, aufs Beste angelegt.

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