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Kulturgeschichte: Liebreiz und Eigensinn

Günter de Bruyn schwärmt für eine dänische Gräfin in Preußen – und bleibt, wie es seine Art als Schriftsteller ist, doch ganz nüchtern.

Das Gefühl, am rechten Ort gelebt zu haben, allerdings zur falschen Zeit, bestimmt seit mehr als 20 Jahren das Werk des großen, 1926 geborenen Erzählers Günter de Bruyn. Während er die „Vierzig Jahre“ der DDR im zweiten Teil seiner gefeierten Autobiografie aus der Sicht eines inneren Emigranten porträtierte, begegnet er uns seither vornehmlich als Chronist des untergegangenen Preußen.

Besonders die berühmte Kunstepoche um 1800 hat es ihm angetan, und er widmet sich ihren bekannten und unbekannten Protagonisten in seinen Büchern mit einer Hingabe, die sich nur mit dem Wunsch erklären lässt, dass er sie gerne gekannt und lieber unter ihnen gelebt hätte als unter jenen Braun- und Blauhemden und wechselnden Genossen, die ihm lange das Leben sauer machten.

Um der Gräfin Elisa von Ahlefeldt zu begegnen, der seine neueste Erkundungsfahrt in die Vergangenheit gilt, hätte de Bruyn nur einer jener jungen, kunstsinnigen Romantiker sein müssen, die 1813 dem Aufruf ihres Königs zum Kampf gegen Napoleon folgten und sich dabei der Freischar des Majors von Lützow anschlossen. Denn das Werbebüro der „wilden, verwegenen Jagd“ wurde im Breslauer Gasthof Zum goldenen Zepter eben von dieser schönen, liebreizenden und klugen Gräfin aus Dänemark geleitet, die sich ihrerseits vom ungestümen Kriegshelden Lützow hatte werben lassen. Als junger Lützower wäre de Bruyn auch Arndt, Körner, Jahn und dem jungen Eichendorff begegnet, und sicher hätten sie alle miteinander von der jungen Frau geschwärmt.

De Bruyn tut dies nun in seiner schlanken und sich wie von selbst lesenden Monografie auf die für ihn charakteristische Weise – mit nüchterner, stilvoller Zurückhaltung. So baut er seine „Lebens- und Liebesgeschichte“ auf dem gewissenhaft zusammengetragenen Sockel der historischen Zeugnisse auf und erlaubt sich nicht die kleinste romanhafte Zutat. Und täuscht seinen Leser keineswegs darüber hinweg, dass die Quellenlage knapp bemessen ist. Nur zwei Bildnisse der Gräfin sind überliefert, schriftlich hat sie beinahe nichts hinterlassen, und was man von ihr weiß, verdankt sich dem Blick derer, die ihr begegnet sind: Das waren vor allem Männer, die sich ihrer Wirkung nicht entziehen konnten (einer tat es dann in ihrem Leben allerdings doch).

Der sinnlichen Erscheinung der 1788 auf der dänischen Insel Langeland geborenen Elise Davidia Margarethe Gräfin von Ahlefeldt-Laurvig kommen wir in de Bruyns Bericht selten so nahe wie in einer kurzen Szene im Kurbad Nenndorf bei Hannover 1808. Da gießt nämlich die blonde Elisa, die zu diesem Zeitpunkt (auch hier ist die Quellenlage uneindeutig) wohl schon Mutter einer unehelichen Tochter ist, einem aufdringlichen Franzosen ein Glas Wasser über die Hand. Der Major Lützow sitzt daneben, hält dies für einen patriotischen Akt und verliebt sich umso mehr in die 19-Jährige, die sich gegen den Willen ihrer Eltern für den preußischen Draufgänger entscheidet. Als Mutter der Lützower Kompanie spielt sie ein paar Jahre später in den Befreiungskriegen ihre erste öffentliche Rolle.

Weil Lützow am besten Krieg kann und sich weniger auf Kunst versteht, kann es nicht ausbleiben, dass sich Elisa in einen etwas zarteren Helden verliebt, Karl von Friesen, mit dem sie innige Briefe tauscht. Doch der bleibt im Felde, und was zwischen ihnen genau im Busch war, darüber will der taktvolle Chronist auch 200 Jahre später nicht ungebührlich spekulieren.

Nachweislich bekannt ist dagegen, dass sich Elisa 1825 von ihrem Mann trennt und dem acht Jahre jüngeren Dichter Karl Immermann zunächst nach Magdeburg und dann nach Düsseldorf folgt. Scheidung ja, neue Ehe jedoch nein – die Vorsicht, die die Gräfin an dieser Schnittstelle ihres Lebens walten lässt, wird sich knapp anderthalb Jahrzehnte später als richtig erweisen. Der ritterliche Lützow hält ihr übrigens die Freundschaft, bis er 1834 stirbt.

In Düsseldorf bildet die Gräfin den lebendigen, aber wegen des unehelichen Verhältnisses diskreten Mittelpunkt des Hauses, in dem ihr junger Lebensgefährte, der im Brotberuf Landgerichtsrat ist, seine Zeitromane „Die Epigonen“ und „Münchhausen“ verfasst. Als Elisa die 50 erreicht hat, verlässt Immermann sie für eine 18-Jährige, wovon er allerdings außer einer Tochter nicht viel hat, weil er schon ein Jahr später stirbt. Elisa lässt sich von ihrer Freundin Johanna Dieffenbach zu einer heilsamem Italienreise überreden und siedelt wieder nach Berlin über, wo sie einst mit Lützow lebte.

Zuerst wohnen die Frauen zusammen, dann stirbt die Freundin. Die nun endlich ganz auf sich gestellte Gräfin Elisa nimmt die Rolle ein, die den gebildeten Frauen ihrer Zeit am ehesten offenstand: Sie macht einen Salon auf. In der Schulgartenstraße 1a, am östlichen Rand des Tiergartens, öffnet sie ihre Pforten und bietet, in der Nachfolge so bekannter Salonnieren wie Rahel Varnhagen, den kunstsinnigen wie den politischen Diskursen der Zeit um 1848 eine geschätzte Heimat.

Auch hier wäre der Chronist sicher gern einmal zu Gast gewesen, und sein Leser wäre es mit ihm auch. Denn längst ist er mit der Gräfin durch die Jahre gegangen, hat vor dem inneren Auge das alte Düsseldorf wie in einem Stahlstich gesehen und sich eingebildet, von den Salongesprächen den einen oder anderen Fetzen mitzukriegen, nicht obwohl, sondern gerade weil der Chronist von allem nur das Nötigste gesagt und niemals etwas Ungesichertes, Kulissenhaftes in den Blick geschoben hat.

Als aufgeschlossene Freundin der sich wandelnden Zeit starb die Gräfin Elisa 1855 mit 67 Jahren in Berlin. Dass es nun wieder möglich geworden ist, sie kennenzulernen, verdankt sich Günter de Bruyn und seiner ganz eigenen Kunst, kein Wort zu viel zu schreiben.

Günter de Bruyn: Gräfin Elisa. Eine Lebens- und Liebesgeschichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2012. 190 Seiten, 17,99 €.

Norbert Hummelt

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