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Klaus Wowereit

© Wolff

Kulturhauptstadt Berlin: König auf der Wolke

Zehn Monate sind seit dem Karlsruher Spar-Urteil für Berlin vergangen. Völlige andere Zeiten sind inzwischen angebrochen: Berlin erfüllt die hohen Erwartungen - Klaus Wowereit macht Hauptstadt mit Kultur.

Es muss in grauer Vorzeit gewesen sein. Böse Richter sprachen in Karlsruhe ein Urteil, das die ferne östliche Hauptstadt in den Orkus stieß. Seht selber zu, wie ihr von euren Schuldentürmen runterkommt, lautete der Tenor. König Klaus I. von Berlin, soeben von seinem Volk aufs Neue akklamiert, tobte vor Wut und schimpfte so sehr, dass er immer kleiner wurde und schier im Boden versank. Und kaum dass er sich selbst auch noch zum obersten Kunstverweser ernannt hatte, warf ihm sein Opern-Hofmarschall den Bettel hin, um bei den Reichen im Morgenland sein Glück zu machen. Aus, der Klaus – und von wegen Kulturhauptstadt Berlin!

Zehn Monate sind seitdem vergangen, und manch einer hat guten Grund, seinen (politischen) Sinnen nicht mehr zu trauen. Berlin strotzt vor Selbstbewusstsein, und plötzlich hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit alles richtig gemacht. Auch und vor allem die Sache mit der Kultur. Im Tandem mit Staatssekretär André Schmitz – der eine strampelt, der andere lenkt, und es sieht dabei nicht unelegant aus – eilt er von Erfolg zu Erfolg. Vielleicht liegt doch etwas Wahrheit im Mythos vom Berliner Tempo, das in den Jahren nach der Wende zur Schnecke geworden war.

Denn jetzt auf einmal sollen sich die Erwartungen und Versprechen der neunziger Jahre erfüllen. Der Berlin-Aufschwung ist da, er fühlt sich zum ersten Mal stabil an, und es ist in erster Linie auch ein Aufschwung der Kultur. Wissenschaft, Tourismus, das allgemeine Lebensgefühl gehören dazu. Es erhärten sich die sogenannten weichen Standortfaktoren.

Beweisen lässt sich so etwas nicht. Aber es gibt sichere Indizien. Der in dieser Woche verabschiedete Landeshaushalt sieht im Kulturbereich für die nächsten Jahre Steigerungen im zweistelligen Millionenbereich vor. Nach etlichen Spar- und Deckelungsrunden ist dies eine klare Trendwende. Einige Theater wie die Schaubühne oder das Hebbel am Ufer (HAU) erhalten eine Etaterhöhung, der Senat will außerdem – lange Zeit undenkbar – mittelfristige Etatgarantien geben. Bei Staatsoper, Komischer Oper und Volksbühne sind umfangreiche Sanierungsmaßnahmen geplant.

Auch personalpolitisch agieren Wowereit und Schmitz klug. Der Vertrag des HAU-Intendanten Matthias Lilienthal wurde verlängert, für das Deutsche Theater mit Ulrich Khuon ein hervorragender Bernd-Wilms-Nachfolger gefunden. Wilms wiederum soll künftig die Arbeit des Hauptstadtkulturfonds leiten. Diese Entscheidung hält sich Kulturstaatsminister Bernd Neumann zugute, was in gemeinsamen Gremien von Bund und Berlin am Ende nicht so wichtig ist. Man muss nur warten können. Und Wowereit bewegt sich nur, wenn er überraschen kann.

Kultur als Chefsache – bisher ging die Rechnung auf. Dass ein Landesfürst den Kulturmeister gibt, funktioniert wohl auch nur in Berlin. Berlin ist arm, Kultur ist sexy, oder? Wowereit wächst über seine Sprüche hinaus. Er kapierte früh, wo die Potenziale dieser Stadt liegen, als er sich vor Jahren, als Oppositionspolitiker, in die kulturelle Ausschussarbeit stürzte. Sein Sonderweg zur Macht, der im Roten Rathaus nicht zu Ende sein muss.

Der Aufschwung Berlins zur kulturellen Metropole der Republik – inzwischen nimmt man ja eine Riesenschau wie das New Yorker Metropolitan in der Neuen Nationalgalerie als selbstverständlich hin – verdankt sich im Wesentlichen dem Bund. Aber was ist das, der Bund? Im Grunde doch auch ein Teil Berlin, mit den Verfassungsorganen und all den Plattformen für internationale Politik. Bund und Berlin, man kann das nicht trennen. Der Bund – seine Gremien, seine Repräsentanten, seine oberhalb der Landesebene angesiedelten Akteure – sitzt in Berlin in einer fabelhaften Falle. Jedenfalls führt kein Weg mehr heraus und zurück, der Mythos Bonn ist endgültig verblasst. Etliche Regierungsvertreter und Bundestagsabgeordnete haben sich mit Berlin nicht nur arrangiert, sie betrachten die Hauptstadt als die ihre.

Diese Entwicklung war abzusehen, sie dauerte nur viel länger als gedacht. Wowereit – vor kurzem noch total abgeschrieben – fährt nun die Ernte mit ein, wenn das Humboldt-Forum endlich gebaut wird. Hier hat der Regierende Kulturmeister lange gezaudert, die Größe des Projekts ignoriert – und doch noch den abfahrenden Zug erwischt. Auch der Durchbruch auf der Museumsinsel ist weder Wowereit noch der Regierung Merkel zuzurechnen, hier gab es jahrzehntelange, enervierende Debatten und Planungen. Plötzlich muss man bloß zugreifen, scheint vieles möglich in Berlin, selbst eine temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz. Wowereit favorisiert den Entwurf mit der großen „Wolke“, was sonst.

Nach der Karlsruher Pleite hatte er der Kanzlerin die Staatsoper Unter den Linden aufdrücken wollen. Ungeschickt, rüpelig, so wurde damals Wowereits Verhandlungsstil kritisiert. Alles schien verloren. Doch wieder dreht sich die Hauptstadtbühne und kommt auf Wowereit zu. Eine komplette Übernahme der Lindenoper in Bundesregie noch in diesem Jahr ist nicht mehr auszuschließen. Es wäre Klaus Wowereits größter Coup.

Im Herbst soll seine Autobiografie herauskommen. Das letzte Buch eines Berliner Kultursenators, er hieß Roloff-Momin, erschien vor zehn Jahren. Es trug den bitteren Titel „Zuletzt: Kultur“.

Rüdiger Schaper

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