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Kulturhauptstadt Linz: Oase für die Ohren

Linz will akustische Vorzeigemetropole werden. Dabei gibt es auch schon Aktionen, in denen es darum geht, die allumfassenden Beschallung souverän zu umgehen.

„Einen Mann zum Fürchten, ein Schauspiel zum Freuen, eine Oper über Einsamkeit und Angst“, nicht weniger verspricht die erste Musiktheaterproduktion des Kulturhauptstadtjahrs Linz 09. Franz Hummel war der Auftrag erteilt worden, eine Oper über Napoleons berüchtigten Polizeiminister „Joseph Fouché“ zu komponieren, einen der schlimmsten Intriganten und Massenmörder: Mönch, dann Jakobiner; Freund, dann Verräter Robespierres; nach Napoleon schließlich Metternich dienstbar, der dem überall gehassten Mann in der Kleinstadt Linz ein Exil vermittelte. Wie aus dem Meer tauchen in Bernhard Hammers eindrucksvollem, aus fünf riesigen Holzwellen bestehendem Bühnenbild in der Linzer Eröffnungspremiere die Schatten der revolutionären Vergangenheit auf, während Fouché selbst als Sprechrolle (Harald Heinz) voll Selbstmitleid röchelnd sich erinnert oder versucht, wie ein heiserer alter Volksschauspieler ein Lied anzustimmen, schließlich aber nur mehr Konsonanten hervorstößt. Betörende Geigenklänge, ein klagendes Akkordeon, dazwischen sicherlich auch Trommelwirbel, wenn Massenerschießungen erinnert werden, machen aus Hummels Oper ein biedermeierliches Potpourri mit reichlich Tanzszenen (Regie und Choreographie: Susan Oswell). Mechanismen des Überwachungsstaates, wie es dem Leiter des Musikprogramms, dem Linzer Komponisten Peter Androsch, wohl vorschwebte, werden dabei nur am Rande deutlich.

Doch der kulturelle Event interessiert Peter Androsch ja nur bedingt. „Es ist doch absurd“, erklärt er, „wenn die Kulturhauptstadt neben dem hohen professionellen Niveau der bestehenden Institutionen, dem Bruckner-Orchester und dem Landestheater, noch zusätzlich Veranstaltungskompetenz aufbauen will.“ Viel wichtiger seien kulturpolitische, ja städteplanerische Möglichkeiten, die ihm sein Job biete. Aufs Komponieren verzichtet Androsch dieses Jahr völlig, auch wenn er bereits neun Opern – meist mit regionalem Bezug – komponiert hat; 2009 verstehe er sich mehr als Intellektueller, nicht so sehr als Musiker. Zentriert ist sein Musikprogramm um das Projekt „Hörstadt“, mit dem er Linz als „akustische Musterstadt Europas“ vorzeigen will. Schon am 22. Januar wird der Linzer Gemeinderat eine „Linzer Charta verabschieden“, bei der verbindliche Zielvorgaben bei der „Gestaltung des akustischen Raums“ festgelegt und juristisch einklagbar gemacht werden. Wie kann man mit der allumfassenden Beschallung souverän umgehen? Mit der Auszeichnung von beschallungsfreien Zonen, Gegenmaßnahmen gegen Zwangsbeschallung – von der Wursttheke bis zum Klo –, einem Ruhe- und Rückzugsraum mitten in der Fußgängerzone wurden bereits einige Aktionen gestartet. Lokalen und Geschäften, bei denen den Besucher die Hintergrundmusik stört, kann man in Linz eine „rote Karte“ von „Hörstadt“ zeigen. Gegen Ende des Jahres wird ein „No Music Day“ am Vortag der Heiligen Cäcilia stattfinden, an dem sich auch mehrere Rundfunkanstalten beteiligen, die einen Tag der Musik entsagen.

Am 20. Februar soll dann „Das akustische Manifest“ proklamiert werden, das auf Tommaso Marinettis „Futuristisches Manifest“ antworten soll. Genau hundert Jahre zuvor veröffentlicht, hatte es Krieg, Lärm und Maschinen als Avantgarde verherrlicht. Und natürlich werden auch Experten, Städteplaner, Juristen, Musiker und Architekten in die Hörstadt Linz geladen werden, um über hörgerechtes Bauen und Wohnen zu diskutieren. Vor Lautstärke hat Androsch dennoch keine Angst. Wie sehr Ruhe und Isolation auch Folter und Prüfung sein können, wird durchaus reflektiert, „Turmeremiten“ werden sich im Linzer Mariendom eine Woche einschließen und ihre Erfahrungen mit dem Schweigen dokumentieren. Androsch will also nicht, dass die Stadt leiser wird, sondern nur, dass „das, was schallt“, einer demokratischen Regulierung unterzogen wird.

Zu Beginn jedes Kulturhauptstadtjahres fürchten die meisten schon das Ende, das Verpuffen aller Initiativen. Das „Hörstadt-Projekt“ arbeitet gegen die Beliebigkeit und für historisches Bewusstsein. Offensiv wird nämlich auch damit umgegangen, dass die Stadt schon einmal Kulturhauptstadt war. In den letzten Kriegsjahren wollte Adolf Hitler die Stadt, in der er mehrere Jugendjahre verlebte, zu einem kulturellen Zentrum des Reiches machen, indem er viele Kräfte von Berlin für ein neugegründetes Reichs-Bruckner-Orchester abzog, das 1944 auch der junge Herbert von Karajan dirigierte; ein Bruckner-Festspielhaus und ein neues Opernhaus sollten in Linz erbaut werden. Nach dem „Endsieg“ hätte ein neuer nationalsozialistischer „Gesamteuropäischer Rundfunk“ einen eigenen Sender für ernste Musik im säkularisierten Stift St. Florian erhalten sollen. „Kulturhauptstadt des Führers. Kunst und Nationalsozialismus in Linz und Oberösterreich“ heißt dazu eine Ausstellung, die sich allerdings vor allem der bildenden Kunst widmet; sie ist bereits im Schlossmuseum zu sehen.

Bernhard Doppler

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