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Kulturhauptstadt: Über roten Dächern

Das Europäische Kulturparlament debattiert im rumänischen Sibiu die Lage der Nationen.

Von Caroline Fetscher

Der Himmel über der Stadt ist hell. Transsilvaniens Herbstsonne leuchtet warm auf den roten Dächern von Sibiu, das für 2007 zur Kulturhauptstadt Europas erkoren wurde. Seit Jahresbeginn kommen sie in Scharen hierher, die Delegationen, um „kulturelle Vielfalt als Chance für die Regionalentwicklung in Europa“ zu feiern oder „Vielfalt, diese Farbenpalette, die wir sind“. Zu den Schlüsselvokabeln, mit denen hier alle jonglieren, gehören die Begriffe interethnisch, interkulturell, multikulturell, partizipatorisch, transparent, inkludierend, kreativ, kommunizierend.

Im Reigen der Tagungen und Programme in Sibiu/Hermannstadt war die Versammlung des Europäischen Kulturparlaments (ECP) eine der ungewöhnlichsten. Gegründet wurde die private Initiative 2002 mit dem schönen schwedischen Optimismus des einstigen Diplomaten Karl-Erik Norrman, orientiert an Yehudi Menuhins Wort, Europa brauche ein künstlerisches Forum, das Brüssels Bürokraten Konkurrenz macht. Unterstützt wird Norrman vom ehemaligen finnischen Außenminister Pär Stenbäck; zum Beirat gehören Umberto Eco und Bronislaw Geremek. An die hundert Mitglieder hat dieses nicht gewählte Parlament, eher eine Art unideologische Freimaurerloge; Sponsoren sind skandinavische Banken und Regierungen.

Nach ihrem Flug aus Oslo, Helsinki, Moskau, Kiew, Kopenhagen, Berlin, Zagreb, Madrid, Rom, Athen, Bern und Malta rumpeln die Parlamentarier vom Flughafen Bukarest sieben Stunden lang per Bus nach Siebenbürgen, wo sie sich in einem Saal unterm Dach der neugebauten Astra-Bibliothek einfinden. Dort brechen die Gräben schneller auf, als Brücken gebaut werden können. Europas Heterogenität, Europas Bruchlinien werden bei dieser freien, unbürokratischen Debatte spürbarer als anderswo.

Joe Friggieri, maltesischer Philosoph und Dramatiker, berichtet von der Arbeitsgruppe „Interkultureller Dialog“, die sich Kultur als Katalysator für Neuerungen wünscht, mit Gadamer eine „Fusion der Horizonte“ beschwört und den Abschied von einer Hegemonialkultur fordert. Wie allerdings will man mit migrantischen Traditionen verfahren, die Frauen und Kinder unterdrücken? Wie verhalten wir uns zu Moscheebauten? Sind wir etwa innerhalb Europas kolonial, wie die Italienerin Simonetta Carbonaro argwöhnt? Venu Dhupa aus London könnte nicht heftiger zustimmen. Podiumsleiter Norrman erinnert daran, dass Werte wie Demokratie, Gleichberechtigung und Rechtsstaat nicht hintergangen werden können. Jasenko Selimovic, humorvoller und selbstbewusster Regisseur aus Göteborg, 1968 in Sarajewo geboren, fragt Tamas Szucs von der EU – wie der für interkulturelle Angelegenheiten bei der EU zuständige Ulrich Bunjes geladen als Gast aus der Politik –, ob die Union gemeinsame Schulbücher und öffentlich-rechtliche Sender entwickeln könne. Da würden wir wohl am Föderalismus scheitern, gibt Szucs zu Protokoll. Europa bleibt abstrakt.

All dem hören die Osteuropäer geduldig zu, bis eine weißrussische Künstlerin höflich nachfragt, wen dieses „Wir“ eigentlich meint, von dem viele so selbstverständlich ausgehen. In Osteuropa, bekräftigt der Moskauer Architekt und Hochschullehrer Eugene Asse, habe man andere Probleme. Vor einem Jahr sei Anna Politkowskaja, Mitglied dieses Kulturparlamentes, vor ihrer Tür ermordet worden, ruft er in Erinnerung: „Die Täter sind nicht gefasst, das System Putin verdunkelt Russland, da gibt es echte Probleme, nicht nur einen Kopftuchstreit.“ Sofort stimmen alle zu und springen zum neuen Thema über, wohl auch erleichtert, denn wo ein gemeinsamer Feind auftaucht, rückt man wärmend zusammen.

Dann will die Sopranistin Barbara Hendricks, Star dieses Parlaments, ihrem Zorn freien Lauf lassen. Wenn sie die Bilder der Mönche in Burma sähe, erinnere sie das an ihre Begegnung mit Aung San Suu Kyi und ihre eigene Kindheit als diskriminiertes schwarzes Mädchen in Little Rock, Arkansas. Sie sagt es implizit: Demokratie und Gleichberechtigung sind Errungenschaften, um die uns andere beneiden. Ja, das ECP beschließt, eine Stellungnahme zum Fall Burma zu verfassen.

Von der Dachterrasse der Astra-Bibliothek überblicken die Parlamentarier in den Kaffeepausen die roten Dächer von Sibiu, die Kirchtürme und die transsilvanischen Bergketten in der Ferne. 160 000 Einwohner hat Sibiu, darunter etwa 14 000 Deutschrumänen. 1930 gab es in dem märchenhaft anmutenden, von den Habsburgern und Handwerk geprägten Städtchen ebenso viele Rumänen wie Deutsche und neben ihnen knapp 7000 Ungarn. Dann kam der Faschismus. Ein barocker Palast von 1777 beherbergt die Sammlung des Habsburger Gouverneurs Samuel von Brukenthal, mit Gemälden von Rubens und van Dyck, Tizian und Botticelli, mit Handschriften und Bibliothek. Heute nennen sie Brukenthal offiziell einen „Homo Europaeus“.

Den rumänischen Frauen, die in den Gassenläden Keramiktassen mit Draculamotiven verkaufen, sagt weder Brukenthal noch Brüssel besonders viel, Burma schon gar nichts. Die meisten jungen Leute im Rumänien der Korruption und Armut „träumen vom Auswandern“, erklärt der sächsische Betreiber des „Kulturzentrums Friedrich Teutsch“. Bei Microsoft in Italien, lächelt er in milder Resignation ob der Realität, sei Rumänisch die am meisten gesprochene Sprache.

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