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Gekommen, um zu bleiben. Flüchtlinge vom Kreuzberger Refugee Camp nach dem Protest gegen einen SEK-Einsatz im vergangenen April.

© DAVIDS

Kulturkritik: Konsumverzicht ist kein Verbrechen

In seiner Kampfschrift „Der überflüssige Mensch“ wendet sich der Schriftsteller Ilija Trojanow gegen die grenzenlose Ökonomisierung.

Nicht erst seitdem Peter Weiss Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“ in der „Ästhetik des Widerstands“ ausführlich würdigte, gehört es zu den ikonografischen Beständen unserer Kultur. Vom Kampf der 150 Menschen, die sich 1816 vor der afrikanischen Küste auf ein Floß gerettet hatten, überlieferte der junge Maler drei Jahre später die aufwühlende Vorstellung eines einzigen Augenblicks. Das monumentale Gemälde hält den zwölften Tag fest, mit den noch 15 Überlebenden, die mit „aufgerissenen Mündern und heraushängenden Zungen zum letzten Schrei ansetzen“. Für Weiss war dies die „Vision eines gehetzten, zerstörten Lebens“ und eine ästhetische Signatur der Niederlage im Spanischen Bürgerkrieg. Der Komponist Hans Werner Henze hatte der Katastrophe auf der Medusa bereits 1968 ein eindrucksvolles Oratorium gewidmet.

Mit den Ereignissen auf der „Méduse“ setzt auch Ilija Trojanows Traktat „Der überflüssige Mensch“ ein, ohne Verweis auf seine vorangegangenen Interpretationen, aber in deutlich kritischer Absicht. Auf dem Floß hat sich eine Schicksalsgemeinschaft zusammengefunden, die zu „unangenehmen Entscheidungen“ gezwungen ist: Wer wird ins Meer geworfen, damit die anderen überleben? Und wer ist es wert, gerettet zu werden?

Das Bild vom übervollen Boot ist nicht nur eine populäre Metapher. Wenn es um die Verteilung knapper Güter geht, die „tödliche Entscheidungen“ fordern, greift auch eine Philosophin wie Weyma Lübbe darauf zurück. Der aus Bulgarien stammende Trojanow, unter anderem bekannt geworden mit seinem Roman „Der Weltensammler, stellt sich mit seiner kleinen Schrift „Der überflüssige Mensch“ in die seit Stéphane Hessel auferstandene Tradition der Anklageliteratur. Die Aussage „Das Boot ist voll“ wendet er gegen die, die sich darin einen Platz gesichert zu haben meinen und davon ausgehen, sie seien unersetzlich. Wer so rede, argumentiert er, impliziere, dass es wertvolles und unwertes Leben gibt. Die Überflüssigen sind aus dieser Perspektive natürlich immer nur die Anderen. Das sah der britische Nationalökonom Thomas Malthus, der Sozialgesetze ablehnte, weil sie den Armen die Fortpflanzung sicherten, nicht anders als sein Nachfolger im Geiste, Thilo Sarrazin. Den Eliten geht es darum, Dampf aus dem Kessel der Überbevölkerung zu nehmen.

Im Schatten des Überflusses, so Trojanows zentrale These, stehe deshalb der für überflüssig erklärte Mensch. Von den Oligarchen und den Reservisten unterscheide er sich dadurch, dass Erstere, die euphemistisch nur „die Superreichen“ genannt werden, ihren Reichtum nutzten, um ihren Einfluss zu mehren, und die Reservisten – die Ein-Euro-Jobber oder zu den in prekären Gefilden sich selbst optimierenden Dienstleister – von der Hoffnung getragen werden, „wieder einberufen zu werden in die Armee der Werktätigen“. Mit den Überflüssigen genießen sie paradoxerweise zwar nach wie vor universelle Rechte, die sie jedoch nur nutzten, um wieder in die Sphäre der Konsumtion aufzusteigen. Denn das schlimmste Verbrechen in unserer Gesellschaft ist der Konsumverzicht: „Wer nicht konsumiert, ist nicht vollwertig.“ Giorgio Agambens homo sacer des 21. Jahrhunderts ist der „gefallene Konsument“.

In der Produktionssphäre hingegen sorgt das Moore’sche Gesetz, die exponentielle Beschleunigung der Produktivkräfte, für einen fundamentalen Paradigmenwechsel in der Arbeitsgesellschaft. Er,, so Trojanows Analogie, sei nur vergleichbar sei mit der Ersetzung des Pferdes im 20. Jahrhundert. Bei der robotronischen Revolution sei nun allerdings der Mensch an der Reihe. Da dieser sich nicht ganz so problemlos schlachten und verarbeiten lässt wie einst das Pferd, muss man sich die Überflüssigen auf andere Art vom Leibe halten. Dafür sorgt die Kulturindustrie. Damit den Zuschauer auf der sicheren Seite nicht humanistischer Zweifel anfällt, sorgt sie mit ihren Katastrophenszenarien für Abstumpfung und Gewöhnung an die Unmenschlichkeit: „Nicht die Moral des Helden ändert sich, wie im klassischen Drama, sondern die Moral des Zuschauers, der Einsicht in die Notwendigkeit erlangt, dass die ekligen, alles bedrohenden Opfer des Untergangs massakriert werden müssen.“

Trojanows Erweckungsschrift ist holzschnittartig, keine Frage, und fordert zu Widerspruch geradezu heraus. Wo verlaufen eigentlich die Grenzen zwischen Inklusion und Exklusion, und wer zieht sie? Die Überflüssigen, darauf macht der Autor durchaus aufmerksam, leisten beispielsweise unsichtbare Sorgearbeit. Ihm geht es aber vor allem um die Benennung einer Tatsache, die weggeheuchelt wird „im Duktus folgenloser Empörung“: Statt kathartische Empathie zu entwickeln, sollen wir uns daran gewöhnen, die Überflüssigen irgendwie zu entsorgen.

Es gibt nicht viele, die das hierzulande so unverblümt sagen. Aber man schaue nur einmal in die Schweiz. Dort wird berechnet, was ein Kind im Laufe seines Lebens kostet, mit wie viel Geld vermeidbare Behinderung zu Buche schlägt und was man in sein Alter investieren muss. Alles eine Grenznutzenrechnung im Hinblick auf den gesellschaftlichen Nutzen eines Menschens.

Dünn wird es, wo Trojanow nach Auswegen sucht. Man solle nicht verzagen, fordert er uns mit Wolf Biermann auf, gerechteres und nachhaltigeres Wirtschaften seien möglich. Also sollten wir uns gefälligst Gedanken machen, was wir mit unserem Geld machen und welcher Bank wir es anvertrauen. Weiter empfiehlt er die Verteidigung der verbliebenen „Allmenden“ und ein wenig TV-Entzug.

Das alles ist so naiv, dass es schon wiedersympathisch wirkt. Trojanow, der in Nairobi zur Schule ging und lange in Indien lebte, lässt an der Ehrlichkeit des politischen Engagement indes keinen Zweifel aufkommen. „Unruhe bewahren“ heißt die Reihe des Residenz-Verlags, in der diese Schrift erscheint. Damit ist vielleicht schon die Absicht des Autors benannt, die mit Biermann lauten könnte: „Lasst euch nicht verhärten“.

Ilija Trojanow: Der überflüssige Mensch. Residenz, Salzburg 2013. 90 S., 16,90 €.

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