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Kulturpolitik: Der Bär ist ein scheues Reh

Wem gehört die geplante City Tax? Die freie Szene von Berlin diskutiert im Berliner Radialsystem über die Bettensteuer zugunsten der Kultur und kommt zu dem Ergebnis - uns.

„Draußen im Wald“, sagt Burkhard Kieker, „läuft ein Bär“. Aber, fährt er fort, niemand habe das Tier bisher gesehen. Die Flinte sei nicht gezückt, kein Schuss abgegeben worden. Und doch seien alle bereits dabei, das Fell zu verteilen. Kieker ist eigentlich kein Großwildjäger, sondern Geschäftsführer der Tourismusgesellschaft Visit Berlin. Und der Bär, den er meint, das ist die City Tax. Die geplante Bettensteuer, die Millionen in Berlins klamme Kassen spülen wird. Wenn sie denn mal kommt.

Kieker jedenfalls mahnte auf Einladung der Koalition der freien Szene im Radialsystem zur Waidmannsbesonnenheit. Das Problem: Die Künstlerallianz will nicht erst auf den Fall der Felle warten, sie fordert seit Monaten 50 Prozent der zu erwartenden City-Tax-Einnahmen. Und hätte dafür jetzt allmählich gerne mal Zusagen oder wenigstens Vorschläge seitens der Politik. Weil die freie Szene schließlich doch maßgeblich für den tourismusfördernden Hipness-Appeal der Hauptstadt verantwortlich sei. „Wir sind die 95 %“ war die jüngste Diskussionsveranstaltung in seliger Occupy-Tradition überschrieben: Besetzt den Bären!

Sonderlich kämpferisch allerdings ging's nicht zu auf dem Podium, wo unter anderem Kulturstaatssekretär André Schmitz und seine Hamburger Kollegin, die Kultursenatorin Barbara Kisseler zum Erfahrungsaustausch über die City Tax saßen. Am Ende des Abends durfte man getrost festhalten: Im Walde nichts Neues. Und das ist keine gute Nachricht.

Kisseler berichtete aus Hamburg, wo die Bettensteuer seit dem 1. Januar in Kraft ist und dem erweiterten Kulturbereich vermutlich fünf Millionen Euro pro Jahr bescheren wird. Genaues weiß man allerdings noch nicht: „Der Bär läuft bei uns ja auch noch frei rum und ist eher ein scheues Reh.“

In Berlin dagegen sei „der Bär auf der Zielgeraden“, freute sich André Schmitz: Die City Tax käme wohl zum 1. Januar 2014. Interessant! Es war ja auch mal vom 1. Januar 2013 die Rede. Wenn’s so weitergeht, wird die Bettensteuer der neue Flughafen. Ansonsten versicherte Schmitz, sich dafür einzusetzen, dass 50 Prozent der potentiellen Einnahmen der Kultur zugutekommen sollten. Er sagte nicht: der freien Szene.

Über mögliche Verteilungen könne ja in einer Arbeitsgruppe mit dem Rat für die Künste und der Koalition der freien Szene beraten werden. Sollte man da nicht längst ein, zwei Schritte weiter sein? Aus dem Publikum kam zudem die berechtigte Frage, ob sich eigentlich die kulturpolitischen Sprecher der Parteien aus dem konzeptionellen Prozess verabschiedet hätten?

Die hatten zuletzt im November, bei einer City-Tax-Veranstaltung im Deutschen Theater, vages Wohlwollen für die Forderungen der freien Szene signalisiert. Sich aber nicht anmerken lassen, dass es überhaupt in ihrem eigenen Sinne sein könnte, den Kulturetat Berlins durch die Bettensteuer aufzustocken. Die im Radialsystem anwesende SPD-Kulturfrau Brigitte Lange entgegnete entrüstet: man mache sich durchaus Gedanken, aber selbstverständlich hinter verschlossenen Türen. Bemerkenswerte Transparenz.

Bekanntlich ist die Kultur in Berlin ja nicht der einzige Sektor mit Begehrlichkeiten. Burkhard Kieker malte das wenig erfreuliche Szenario aus, am Ende könnten von den City-Tax-Einnahmen vielleicht „neue Gullydeckel in Marzahn“ angeschafft werden. Die Kulturpolitik tut’s derweil dem Bären gleich und hält Winterruhe. Patrick Wildermann

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