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Kultur: Kulturpolitik: Jungfernfahrt

Mit einem Politikerposten ist es wie mit einem Gebrauchtwagen: Was einem wirklich angedreht wurde, merkt man erst hinterher. Gerade mal eine Woche hat Adrienne Goehler ihren Fahrzeugschein zur Führung der Berliner Kulturbehörde, und schon beim ersten Turbostart stellt sie gravierende Mängel fest.

Mit einem Politikerposten ist es wie mit einem Gebrauchtwagen: Was einem wirklich angedreht wurde, merkt man erst hinterher. Gerade mal eine Woche hat Adrienne Goehler ihren Fahrzeugschein zur Führung der Berliner Kulturbehörde, und schon beim ersten Turbostart stellt sie gravierende Mängel fest. Zwei Briefe hat Vorbesitzer Christoph Stölzl offenbar im Handschuhfach der alten Karre vergessen, einen bereits vom 22. Mai, den anderen von Anfang Juni. In beiden wird auf die drohende Insolvenz des Berliner Theaters des Westens hingewiesen - ohne dass der Senator und seine Behörde darauf reagiert hätten. Um den Konkurs abzuwenden, erklärte Goehler gestern bei ihrer Jungfernfahrt im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses, habe sie ein Übereinkommen mit dem Finanzsenator erzielt, nach dem 3,3 Millionen Mark an Subventionsmitteln für 2002 vorgezogen werden könnten. Damit sollen vor allem die Umstrukturierungen, sprich: Abfindungen für entlassene Mitarbeiter finanziert werden, die eigentlich aus dem laufenden Etat erbracht werden sollten. Dazu ist das TdW jedoch durch den Totalflop seiner aktuellen Produktion "Schwejk it easy!" nicht mehr in der Lage, ebenso wenig wie zu einer Kreditaufnahme aus eigener Kraft. Nicht einmal die Landesbank will sich mehr auf die Abtretung künftiger Subventionen als Kreditsicherheit verlassen. Dass das "Schwejk"- Musical ab September wieder von seinem erfolgreicheren Vorgänger "Falco meets Amadeus" abgelöst wird, kann zwar die finanzielle Lage des TdW entspannen, die Kreditwürdigkeit jedoch kaum wieder herstellen.

Mehr als eine notdürftige Reparatur ist das Vorziehen der Subventionen nicht, das wissen Goehler und ihre Staatssekretärin und Beifahrerin Alice Ströver selbst am besten. Sie haben den TdW-Intendanten Elmar Ottenthal beauftragt, ein künstlerisches Konzept zu erarbeiten, das die Abgrenzung des TdW von kommerziellen Musical-Betreibern klären und als Entscheidungsgrundlage über eine weitere Subventionierung des Hauses ab 2003 dienen soll. Das ist noch Zukunftsmusik. Im Moment erinnert der Fall TdW eher an einen Rostfleck: Je mehr man kratzt, desto mehr Schäden treten zu Tage und desto klarer wird, dass schon etliche Vorbesitzer lieber geschwiegen und höchstens mit ein wenig frischer Farbe drübergepinselt haben. Denn die grundsätzliche Klärung über die Rechtfertigung eines öffentlich finanzierten Musical-Theaters steht schon lange an - und der festgeschriebene Parlamentsauftrag, auch Operette zu spielen, war spätestens mit der Entlassung des Orchesters vor einem Jahr zu Makulatur geworden.

Dieser erste Schadensfall, der nach Goehlers Worten bereits in den ersten 24 Stunden ihrer Amtszeit eintrat, kann nur eine Warnung für sie sein, dass neben der erklärten Mängelliste (Philharmoniker-Stiftung, Museumsinsel, Opernreform) noch eine ganze Menge weiterer Reparaturen auf sie zukommen werden, zumal der Motor im Wahlkampf auf Hochtouren laufen muss. Große Extratouren wird sie sich dabei nicht leisten können. Hauptsache, die Karre hält wenigstens noch die nächsten drei Monate durch.

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