zum Hauptinhalt
Vom rettenden Prinzen zum ratlosen König. Vladimir Malakhov in dem Stück „Symphony of Sorrowful Songs“.

© REUTERS

Kulturpolitik: Nach dem Abgang der Primaballerina Polina Smionova: Malakhovs Schwanenseegesang

Das Staatsballett Berlin ist in Tradition erstarrt – sein Intendant Vladimir Malakhov hat sich festgetanzt. Drei Wochen nach der Ankündigung von Polina Semionova, Berlin verlassen zu wollen, ist immer noch nicht klar, ob die Primaballerina der Stadt wenigstens als Gasttänzerin erhalten bleibt.

Von Sandra Luzina

Der Schock war groß. Anfang März teilte das Staatsballett Berlin mit, dass die Erste Solistin Polina Semionova den Intendanten darum gebeten habe, sie vorzeitig aus ihrem bereits bis zum Sommer 2013 verlängerten Vertrag zu entlassen. „Es ist eine schwierige Entscheidung für mich“, erklärte Semionova damals im Tagesspiegel. Sie habe sich diesen Schritt aber gründlich überlegt. Konkrete Gründe für ihr Ausscheiden wollte sie nicht nennen.

Drei Wochen sind seitdem verstrichen und noch immer ist unklar, ob Semionova, die unangefochtene Primaballerina, zukünftig überhaupt noch in Berlin auftreten wird – als Gasttänzerin. Wer bei der Pressestelle anruft, wird mit Verweis auf die laufenden Verhandlungen vertröstet. Das Ballett ist derzeit wie gelähmt. Und schottet sich ab.

Ungewiss erscheint nun auch die Zukunft des Staatsballetts überhaupt – und die seines Intendanten. Semionovas Ausstieg hat die Öffentlichkeit alarmiert, und zwar nicht nur, weil eine Ausnahmetänzerin das Ensemble verlässt. Der Fall zeigt, dass es in der Truppe rumort. Derzeit häuft sich die Kritik an Vladimir Malakhov. Selbst glühende Verehrer beklagen seine Führung sschwäche, seinen mangelnden Gestaltungswillen als Intendant und die Eitelkeit eines Ballettprinzen, der partout nicht aufhören will. Der gerade dabei ist, seinen exzellenten Ruf als Tänzer zu ramponieren. Seine Auftritte nach der Knie-Operation waren allesamt eine Zitterpartie. Bei der Premiere von „Peer Gynt“ im vergangenen November war es dann nicht mehr zu übersehen, dass er sich mit der Rolle übernommen hatte. Sein Zauber wirkte nicht mehr.

Intendant Malakhov will von einer Krise nichts wissen

Doch Vladimir Malakhov hat anscheinend noch nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. In einem Interview hat der 42-Jährige noch einmal bekräftigt, dass er derzeit nicht ans Aufhören denkt. Sein Körper funktioniere noch, sagte Malakhov. Und von einer Krise des Staatsballetts will er nichts wissen. Das offenbart einmal mehr, dass Malakhov sich in erster Linie als Tänzer begreift und nicht als Chef eines Staatsballetts. Das war schon von Anfang an so, der Startänzer aus der Ukraine war schließlich noch relativ jung, als er im Januar 2004 die künstlerische Leitung des neu gegründeten Staatsballetts Berlin übernahm. Zuvor hatte er schon als Ballettdirektor an der Staatsoper die Compagnie auf Vordermann gebracht. Seine Verdienste sind unbestreitbar. Das Staatsballett Berlin tanzt heute auf hohem Niveau und hat eine Garde von tollen Solisten. Auch wenn Polina Semionova nicht zu ersetzen ist.

Aber jetzt zeigen sich auch deutlich seine Versäumnisse. Malakhov hat es in seinen acht Jahren als Chef des Staatsballetts nicht geschafft, ein interessantes und vielfältiges Repertoire aufzubauen. Dabei hat er freie Hand, seit das Ballett autonom ist. Er muss sich nicht mit dem Operndirektor abstimmen, wie noch seine Vorgänger. Bei seiner Spielplanpolitik lässt er sich zu sehr von den eigenen Interessen und ästhetischen Vorlieben leiten. Das Staatsballett Berlin droht zum Tanzmuseum zu werden, man denke an verstaubte Abend wie „Glories of the Romantic Ballet“ oder Ausgrabungen wie „Sylvia“. Zudem suchte er sich mit Vorliebe Stücke, die als Starvehikel für ihn taugen.

Die Aufgaben einer großen Ballettcompagnie sind klar definiert. Sie soll das klassische Erbe pflegen, die Entwicklungslinien bis in die Gegenwart aufzeigen und zugleich aufgeschlossen sein für zeitgenössische Experimente und junge Choreografen fördern. Als Berliner kann man nur mit Neid nach Stuttgart blicken. Das Stuttgarter Ballett, das bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift „tanz“ zur „Compagnie des Jahres 2011“ gewählt wurde, hat zwei namhafte und künstlerisch sehr produktive Hauschoreografen: Christian Spuck und Marco Goecke. Es gibt sie doch, die jungen Talente. Doch Malakhov konnte keinen Choreografen ans Haus binden. Was bei den Galaprogrammen „Malakhov & Friends“ an zeitgenössischen Arbeiten gezeigt wurde, war oft zum Schaudern. Dass das Berliner Ballettpublikum sehr konservativ ist, wundert da nicht.

Der künstlerische Stilstand ist programmiert

In dieser Spielzeit stehen noch zwei durchaus viel versprechende Premieren aus. Am 27. April kommt ein moderner Ballettabend mit Choreografien von Nacho Duato, William Forsythe und Marco Goecke heraus. Dessen „Guide To Strange Places“ zu Musik von John Adams ist immerhin eine Uraufführung. Am 1. Juni folgt dann die Uraufführung „The Open Square“ von Itzik Galili. Danach aber sieht es düster aus. Weil er zu viel Geld ausgegeben habe, werde er in der nächsten Spielzeit keine Premieren zeigen, sondern nur drei Wiederaufnahmen, sagt Malakhov. Der künstlerische Stillstand ist damit programmiert. Dabei könnten die klassisch trainierten Tänzer durchaus noch Nachhilfe in zeitgenössischen Idiomen gebrauchen. So mancher Choreograf erzählt hinter vorgehaltener Hand, dass man dem Ensemble auf die Sprünge helfen müsse.

Vladimir Malakhov hat dem Berliner Ballett Glamour gebracht, von Anfang an war er das Zugpferd. Und das Berliner Publikum liebt ihn. Jetzt, wo er sich dem Ende seiner aktiven Laufbahn nähert, muss er endlich begreifen, was für Gestaltungsmöglichkeiten er als Chef einer so großen Ballettcompagnie hat. Es muss ihm aber auch dämmern, was für eine Verantwortung er übernommen hat.

Berlin und das Ballett, das war lange ein Trauerspiel. Mit Malakhov schien alles anders zu werden. Er war der Prinz, der das Ballett aus seinem langen Dornröschenschlaf wachküsste. Doch der Retter wird nun selbst zum Problem. Ob noch Zeit bleibt, einen anderen Kurs einzuschlagen, ist ungewiss. Polina ist jedenfalls bald weg. Und dem Staatsballett droht eine lange Stagnation.

Berlin hat Sasha Waltz und eine rührige freie Szene. Eine Hauptstadt hat einen engagierteren Ballettchef verdient.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false