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Staatsoper

© gmp

Kulturtempel: Glanz oder gar nicht

Der Streit um die Renovierung der Berliner Staatsoper ist festgefahren. Dabei liegt die Lösung so nah.

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass es sich bei dem Saal der Berliner Staatsoper nicht um ein Original handelt, sondern um eine Neuschöpfung im Rokokostil aus dem Jahr 1955. Wie aber steht es mit dem Rest des Gebäudes? Wie viel hat der Musentempel, den die Flaneure heute Unter den Linden bewundern, noch mit jenem Gebäude zu tun, das einst Friedrich der Große in Auftrag gab?

In der Fachzeitschrift „Bauwelt“ hat der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er das Traditionshaus aus städtebaulicher Sicht betrachtet. Was heute Unter den Linden gegenüber der Humboldt- Universität steht, so empfindet es Hoffmann-Axthelm, „erweist sich, unbefangen besehen, als hässliche Hybride: weder eine Schönheit noch historisch“.

Von dem 1742 eingeweihtem Musentempel des preußischen Hofarchitekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff hat außer dem Säulenportal an der Straßenseite nichts die Zeitläufte überlebt. Was hinter dem Säulenvorbau beginnt, nennt Hofmann-Axthelm ein „merkwürdig zusammengestückeltes, babylonisch aufgipfelndes Raumgebirge ohne innere Logik und ohne angebbares Alter“.

Im Laufe der Jahrhunderte sei das Gebäude „systematisch vergewaltigt worden“, findet der Bauhistoriker. Denn die jeweiligen Nutzer haben den Bau nach ihren Bedürfnissen und den Theatermoden immer weiter aufgebläht, bis durch das Opernhaus schließlich die Weite und Wirkung des Forum Fridericianum rund um den Bebelplatz zerstört war: 1910 erhielt das Opernhaus für Serviceräume und Technik im hinteren Bühnenbereich ein „massives Querschiff“, das dem einst so eleganten Gebäude die bizarre Birnenform eines Fettleibigen verleiht. Weil dem Bühnenhaus zudem ein „monströser, jede Maßstäblichkeit sprengender Turmbau“ aufgepflanzt wurde, ist seitdem die Sicht vom Linden-Boulevard auf die Hedwigskathedrale verstellt.

Hoffmann-Axthelms Forderung lautet darum: Wenn schon ein als Renovierung getarnter Totalabriss der Staatsoper, dann bitte auch ein Wiederaufbau in den originalen barocken Proportionen von 1742! Als königliches Festspielhaus hatte Knobelsdorff sein damals bahnbrechend-modernes Gebäude angelegt, als Folge von drei großen Sälen unter einem durchgehenden, flachen Walmdach. Sowohl an der Stirnseite des Hauses, als auch an beiden Längsseiten befanden sich von Säulen geschmückte Eingänge. Vom Apollosaal begab sich das königliche Publikum in den Zuschauerraum, der mehrere Logenreihen sowie ein unbestuhltes Stehparkett hatte. Nach den Vorstellungen konnte der Fußboden so weit angehoben werden, dass sich eine durchgehende Ebene ergab und das „Korinthischer Saal“ genannte Bühnenhaus zum dritten Saal der repräsentativen Raumflucht wurde.

Musiktheater, wie man es seit dem späten 19. Jahrhundert gewöhnt ist, ließe sich in diesem Original natürlich nicht mehr spielen. Das aber gerade empfindet Hoffmann-Axthelm als großes Plus seines Vorschlags: „Es ist Zeit, das Historischwerden der Gattung ernst zu nehmen. Man muss sich von einer Denkweise verabschieden, der die Häuser als neutrale Container gelten. Für die Opern heißt das: Man kann nicht jedes Stück überall aufführen, sondern braucht spezialisierte Häuser.“ Die Staatsoper wäre dann innerhalb der hauptstädtischen Kulturlandschaft das Haus für die erste Hälfte der Musiktheatergeschichte, beginnend bei Monteverdi über Händel und Mozart bis zum ästhetischen Scharnierwerk des „Freischütz“, der 1830 in Berlin am Gendarmenmarkt uraufgeführt wurde. Denkbar sind zudem Uraufführungen von Kompositionen, die explizit für den Raum geschaffen werden.

Hoffmann-Axthelms Vorschlag für eine kompromisslose Rekonstruktion konsequent weiterzudenken hieße natürlich, Daniel Barenboim und seine Staatskapelle aus der Institution herauszulösen, das Orchester als autonome Einrichtung zu etablieren. Von der Sonderstellung, die der Maestro seinen Musikern im Zuge der Etataufstockung für die Lindenoper gerade erstritten hat, wäre es eigentlich nurmehr ein kleiner Schritt – definiert sich die Staatskapelle doch selber gerne als Konzertorchester mit Verpflichtung zum Orchestergrabendienst. Dabei wäre es den Musikern natürlich unbenommen, in spezialisierten, klein dimensionierten Formationen weiterhin Unter den Linden aufzutreten.

Ein radikales Gedankenspiel, das aus architektonischer wie musikwissenschaftlicher Sicht durchaus seinen Reiz hat – und vor allem klar macht, wie komplex die Staatsopern-Frage letztlich ist. Was aber, wenn in der mit heißem Herzen und blindem Enthusiasmus geführten Debatte ein Kompromiss zum Greifen nah wäre? Ein Entwurf, der zwischen den Streitparteien vermittelte, zwischen dem Ruf nach Akustik- und Sichtverbesserungen einerseits und dem Bedürfnis nach dem „festlichen Ambiente“ andererseits? Dieser dritte Weg liegt tatsächlich bereits in ausgearbeiteter Form vor: Er stammt vom weltberühmten Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) und hat beim Architekturwettbewerb zum Zuschauerhaus der Staatsoper im Mai den dritten Preis errungen.

Neben spektakulären Projekten wie dem Berliner Hauptbahnhof oder der künstlichen Stadt Ligang in China hat sich das in Hamburg beheimatete Architekturbüro auch immer wieder mit dem Bauen in historischer Umgebung beschäftigt. „Das Problem durch Kontrast zu lösen, ist die billigste Methode“, kritisiert Folkwin Marg im Gespräch mit dem Tagesspiegel den Siegerentwurf des Architekten Klaus Roth, der in die Oper einen modern gestalteten Saal einbauen möchte. Marg favorisiert eher das, was man bei der Übersetzung literarischer Texte als freie Nachdichtung bezeichnen würde. Sein Saal spielt mit dem Formvokabular, das Richard Paulick hier 1955 benutzte: „Wir drängen uns nicht als Architekten in den Vordergrund, sondern wir sorgen für Regie und Inszenierung: Was wir erhalten wollen, ist die Stimmung des Raumes.“

„Die Zuschauer sollen das Gefühl haben: Es ist anders geworden, aber dennoch ähnlich, weil es eine Kontinuität zur Atmosphäre der Foyers gibt“, findet Marg. Der Saal erstrahlt im gmp-Entwurf in Elfenbein, Gold und Rot wie bei Richard Paulick, respektiert also „das gewohnte und geliebte Farb- und Lichtambiente“, orientiert sich jedoch nicht am Rokoko, sondern an der klassizistischen Außenfassade des Hauses. Oberhalb des dritten Ranges ist eine umlaufende Säulengalerie eingezogen, die zur Verbesserung der Akustik beitragen soll, aber auch als eine mit Bars ausgestattete zusätzliche Pausenhalle gedacht ist, von der aus man mit dem Sektglas in der Hand hinab in den Saal blicken kann.

„Mit Schmunzeln“ ist in dem Entwurf an der Saaldecke wieder Paulicks Kristalllüster als Zitat vorgesehen, die Balustraden der Ränge sollen Glanzlichter erhalten, die an die einstige Beleuchtung des Theaterraumes mit Kerzen erinnern. Eklektische Eleganz ist dem Raum nicht abzusprechen, durch einen Verzicht auf die Proszeniumslogen sind auch die Sichtverhältnisse signifikant verbessert. „Die ästhetische Konfrontation von Gegenwart und Vergangenheit“, resümieren die Hamburger Architekten von gmp, „möchten wir den in ihrer Nachhaltigkeit zeitlich befristeten Inszenierungen des Regietheaters überlassen.“

Egal, wie sich die politisch Verantwortlichen beim Bund und in Berlin letztlich in der Sache entscheiden – von einem Argument sollten sie sich nicht leiten lassen: Dass es nämlich mit der Deutschen Oper in der Hauptstadt doch bereits ein Haus gäbe, in dem das Publikum eine optimale Akustik sowie einen ungehinderten Blick auf die Bühne genießen kann. Dann nämlich könnte man die Staatsoper gleich dicht machen und zu einem Museum umfunktionieren.

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