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Zart und skriptural. Für die Inszenierung „Professor Bernhardi“ schreibt Katharina Ziemke die Bühnenanweisungen direkt an die Wand.

© DAVIDS/Michele Tantussi

Kunst an der Schaubühne: Wisch und weg

Katharina Ziemke malt live für die Schaubühne – und nimmt hin, dass ihre Werke wieder verschwinden.

Für die Ewigkeit sind Katharina Ziemkes Bilder im Theater nicht. Schon klar, das liegt in der Natur der Kunstform. Allerdings durften ihre Werke bislang noch nicht mal das Ende der Vorstellung erleben. Die Zeichnungen, die Ziemke für Thomas Ostermeiers „Volksfeind“ angefertigt hat, wurden von den Schauspielern vor dem Übergang zum vierten Akt brutal mit schwarzer Farbe überpinselt. Das gleiche Schicksal widerfuhr dem Gebirge- und Seen-Gemälde, das sie für Ostermeiers „Möwe“ in Amsterdam und die französische Version der nämlichen Inszenierung entstehen ließ.

Nicht, dass Ziemkes Schöpferstolz dadurch gekränkt wäre. Im Gegenteil. Etwas hoch Dramatisches habe dieser Vernichtungsakt gerade im Fall der „Möwe“ gehabt, erzählt sie entflammt, „für viele Zuschauer war die jähe Zerstörung dieser Sommerfrische sehr verstörend“. Und schließlich spiegele der Vorgang ja auch ziemlich adäquat den emotionalen Lauf des Tschechow-Stückes.

Nun ist Ziemke erneut an einer Ostermeier-Inszenierung beteiligt, „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler. Ein Drama, das den Antisemitismus zum Thema hat, überhaupt die Wirkmächte von Stigmatisierung und Ausgrenzung. Schnitzler beschreibt den Fall des jüdischen Arztes Bernhardi und die gesellschaftspolitische Brandbeschleunigung, die zu dessen Sturz führt.

Ziemke kommt frisch von der Probe ins Café der Schaubühne, sie trägt noch ihr Kostüm. Diesmal wird sie ihre Zeichnungen nicht vorfertigen. Sondern live malen. In einem komplett weißen Raum mit Versuchslabor-Anmutung, den Ostermeiers Stamm-Bühnenbildner Jan Pappelbaum gebaut hat, schreibt sie Schnitzlers Szenenanweisungen und Verortungen an die Wand: „Ein Krankenhaus, Elisabethanum“, „ein mäßig eingerichteter Vorraum“, „ein Sitzungssaal“. Die Worte aus Kohle und farbiger Kreide werden immer wieder verwischt und überschrieben. „Die Räume überlagern sich“, beschreibt Ziemke, „dadurch entsteht ein abstraktes Gemälde, das ein bisschen an die Werke von Cy Twombly erinnert“.

Wie Intendant Ostermeier mag Katharina Ziemke das Abgründige

Kunst, die sich irgendwo im Grenzbereich der Genres bewegt, ist ein Standard. Diese leibhaftige Verbindung von Malerei und Theater aber fällt tatsächlich aus dem Rahmen. Die bildende Künstlerin Katharina Ziemke und der Regisseur Thomas Ostermeier haben sich über eine französische Sammlerin kennengelernt. Ostermeier fing Feuer für Ziemkes Kunst. Was nicht erstaunt, weil sie – dem Theater des Schaubühnen-Chefs nicht unverwandt – einen Zug zur Schattenseite, zum Abgründigen hat. „Ich mag das Unbestimmte zwischen Tag und Nacht“, bestätigt sie, „das Zwielichtige, Groteske“.

Ihre Pastelle zeigen beispielsweise einen Leoparden, der sich in einer fast zärtlich umarmenden Gier über seine tote Beute hermacht. Ein Haus in der Natur, das von üppig wucherndem Grün oder einer toxischen, apokalyptischen Flut umgeben sein könnte. Oder ein Kind, das neben einem Schaukelpferd und umgestürzten Bechern auf dem Boden liegt. Von einer Taschenlampe angeleuchtet? Schlafend oder tot? Mit traumwandlerischer Genauigkeit erwischen Ziemkes Werke den Kipppunkt zwischen dem Heimeligen und dem Unheimlichen, dem Vertrauten und dem Bedrohlichen.

Oft entstehen die Gemälde nach Fotografien oder Bildern, auf die Ziemke im Internet stößt. Sie geht mit vagen Vorstellungen auf die Suche nach Motiven, „als ob man einen Traum erzählen will, aber die Details nicht ausformulieren kann“. Und plötzlich ist da dieses Bild, das genau die Gefühle wiedergibt, die man im Schlaf hatte. In jüngerer Zeit hat sie sich neben Pastell und Chinatusche auch Kratzbildern zugewandt – was bestens zu ihrem Kosmos passt, weil es bei dieser Technik, die ja schon Kinder lieben, darum geht, „einen Untergrund herauszuschälen, das Unkonkrete, Organische, das unter der Oberfläche wabert“.

Ziemke, die seit zehn Jahren in Berlin lebt, hat Malerei in Paris studiert, an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts. Sie wurde direkt nach ihrem Abschluss zu einer Gruppenausstellung in Paris eingeladen. Fand eine Galerie, die sie seitdem in Paris und New York vertritt. War mit einer Einzelposition auf dem Kunstfestival Le Printemps de Septembre in Toulouse neben Größen wie Sarah Lucas oder Franz West vertreten. Ziemke hat dann zwar keine Kometenkarrieren hingelegt, aber sie ist mit ihrem aus der Kunsthochschulnorm fallenden Stil kontinuierlich erfolgreich.

Es gab in Ziemkes Leben, abgesehen von einem elterlichen Abo fürs Hamburger Thalia-Theater, nie eine sonderliche Affinität zur Bühne. Das hat sich seit der Zusammenarbeit mit Ostermeier geändert. Die Künstlerin schätzt es, im Theater Teil eines Gesamtkunstwerks zu sein. Und sie lotet mit der ihr eigenen Experimentierlust die Gestaltungsfreiräume aus, die sich zwischen den Vorgaben der verschiedenen Gewerke öffnen. Für den „Volksfeind“ schwebten Ostermeier hinskizzierte Designermöbel vor, kindlich wirkende Zeichnungen im Stil von Jean-Michel Basquiat. Ziemke erfüllte das, erfand aber mehr: kritzelige Organigramme, die auch das Innenleben der Hauptfigur Dr. Stockmann im Kampf gegen die Konsumfixiertheit und Konformität der Gesellschaft aufschillern ließen.

Ihrer Hauskünstlerin hat die Schaubühne nun eine eigene Ausstellung eingerichtet

Sie freut sich, jetzt für „Professor Bernhardi“ live malen zu können. Für das Bühnengemälde zur Tschechow’schen „Möwe“, das ebenfalls in Echtzeit entstand, musste Ziemke einen Bühnenmaler anlernen, der über Headset ihren Anweisungen folgte – mehr Schwarz, weiter oben, bitte! Für manche Künstler mag das gang und gäbe sein. Jeff Koons lässt Assistenten seine Ideen ausführen. Aber Ziemke bedauerte, nicht bei jeder Vorstellung in Amsterdam anwesend zu sein.

In der Universum Lounge – einer ehemaligen Bar im Schaubühnen-Gebäude, die mittlerweile vom Theater genutzt wird – öffnet parallel zur Schnitzler-Inszenierung ihre Ausstellung „Too late. I got my face on“. Die ist in mehrfacher Hinsicht auch vom Theater beeinflusst. Schon weil sich die Künstlerin mittlerweile neben ihrer Malerei mit Skulpturen in die Dreidimensionalität des Raums begibt.

Skurrile, marionettenhafte Gesellen mit wächsernen Gesichtern sind das, wie viele ihrer Bilder anziehend und furchteinflößend zugleich. Der Titel spielt mit dem amerikanischen Ausdruck, sich eine Meinung gebildet zu haben. Und mit der Maskerade, die immer das Wesen des Theaters war. Für Ziemke bedeutet er aber auch eine Adresse an die Betrachter: „Too late. Jetzt seid ihr drin und müsst euch mit dem, was ihr seht, erst mal auseinandersetzen.“

„Professor Bernhardi“, Schaubühne,  3. – 6. Februar, 19.30 Uhr. Ausstellung bis 27. Januar, täglich 16–20 Uhr.

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