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Kultur: Kunst auf Durchreise

Zur Eröffnung des Weimarer Kunstfestes zeigt die Berliner Nationalgalerie ihre Schätze

Kunst und Politik gehörten nicht immer zusammen, in Weimar indessen schon, suchte Hellmut Seemann die Eröffnung der Ausstellung „Kunst der Weimarer Republik“ etwas zu befeuern. Der Präsident der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen bietet im Neuen Museum des eher beschaulichen Städtchens an der Ilm nicht nur dem Gastspiel der Neuen Nationalgalerie Berlin, sondern zugleich dem Kunstfest Weimar unter dessen erstmaligem Titel „Pèlerinages“ Unterkunft. Die hochkarätige Auswahl der Nationalgalerie-Bestände, dem für Weimar glücklichen Umstand des MoMA-Gastspiels an der Spree zu verdanken, soll der Hauptstadt der deutschen Klassik Diskussionsstoff liefern.

In einem aufschlussreichen Interview bekannte sich Kunstfest-Chefin Nike Wagner zur „Kulturnation“, durchaus im Sinne der Bewahrung und Rettung. Im Rückbezug auf die Weimarer Geschichtsepoche der Zwischenkriegszeit liegt denn auch etwas Beschwörendes. Die von Moritz Wullen von den Staatlichen Museen Berlin besorgte Ausstellung sucht den Stachel der Moderne, der in den üblichen Präsentationen allzu sehr zugunsten der kunstgeschichtlichen Ewigkeitswerte geglättet wird. Im Neuen Museum Weimar kommen Eigenständigkeit, Politisierung, Angriffslust der Avantgarde zur Wirkung, ob bei George Grosz und den „Agitationstafeln“ Heinrich Vogelers oder in den Neuanfängen Moholy-Nagys und Oskar Nerlingers.

Man kann das Weimarer Gastspiel als Probelauf für die künftige Präsentation in der Neuen Nationalgalerie nach dem Auszug des MoMA ansehen. Erstmals sind die künstlerischen Gattungen Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie, Architektur und Gestaltung gemeinsam vertreten – wie es dem Kunstbegriff nicht nur des „Bauhauses“ entsprach. Dazu gibt es zeitgeschichtliche Dokumente, die unmissverständlich belegen, dass die Kultur von Weimar wahrlich nicht ohne Politik verstanden werden kann – und umgekehrt. Daran wird in Berlin zu erinnern sein.

Ob wir „Heimweh“ – wie in „Pèlerinages“ anklingend – nach der Weimarer Epoche haben dürften, fragte Nike Wagner bei der Eröffnung: „ein gefiltertes Heimweh vielleicht“. Sie erinnerte daran, dass sich Deutschland nach der Republik „selbst zum geschlossenen Raum machte“ und nannte „Emigration, Lager, Tod“. So sei die Ausstellung auch „eine Erinnerung an die einstige geistige Hauptstadt zu einem Zeitpunkt, da die reale Hauptstadt erneut Berlin heißt“.

Hauptstadt, Hauptstädtchen war Weimar zu Zeiten des Großherzogtums, im „goldenen Zeitalter“ der Goethe- und Schiller-Zeit und im „silbernen“ der folgenden Generation. Ihr widmet die Stiftung Klassik und Kunstsammlungen derzeit im Schloss die Ausstellung „Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof“. Man tut gut daran, nach aller Beschwörung des durch die Jahre von 1919 bis 1933 so elektrisierten Namens Weimar an die Realgeschichte der Stadt zu erinnern. In Briefen an ihre Mutter belustigt sich Maria Pawlowna, Tochter des Zaren Paul I. und 1804 mit dem Erbprinzen Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach vermählt, über die Residenzstadt, die sie sich klein vorgestellt, aber nicht derart klein erwartet hatte.

Als Prinzessin und spätere Großherzogin machte sie das Beste daraus – in der Pflege des Klassikererbes und der Hinwendung zur Musik samt Berufung von Franz Liszt. Zugleich kämpfte die Fürstin mit Wirtschaftsförderung und Sozialpolitik für eine zeitgemäße Legitimation des monarchischen Prinzips im bürgerlichen Zeitalter des 19. Jahrhundert.

Den eher anmutigen denn gleißenden, fast schon bürgerlichen statt aristokratischen Glanz des Hofes unter Maria Pawlowna macht die Ausstellung sinnfällig – umso mehr, als sie in den originalen Räumen des Schlosses stattfindet, von denen die Großherzogin vier nach Weimars größten Dichtern hatte ausgestalten lassen. Das war schon zur Entstehungszeit Mitte des 19. Jahrhunderts mehr Beschwörung als lebendige Tradition. Um wie viel mehr heute – wo es gilt, wie Nike Wagner anklingen ließ, überhaupt nur die Erinnerung an Tradition zu bewahren. Die Kunst des 20. Jahrhunderts, wie sie jetzt in der Ilmstadt als Konzentrat zu erleben ist, war schon damals nur auf Durchreise – und bald ganz heimatlos.

Weimar, Neues Museum, bis 24. Oktober, Katalog bei DuMont, auch im Buchhandel 14,80 €. – Schlossmuseum, bis 26. September, Katalog im Deutschen Kunstverlag 29,90 €, im Buchhandel 34,90 €.

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