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Das Ölgemälde „Nachtcafé“ (1977/78) des sächsischen Künstlers Hubertus Giebe aus der Sammlung der Berliner Volksbank.

© Peter Adamik; VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Kunst der Weimarer Republik: Die Lava glüht noch

Die Ausstellung „Die wilden 20er – Nach(t)leben einer Epoche“ zeigt den bis heute fortwirkenden Einfluss von Neuer Sachlichkeit und magischem Realismus.

Im Café Einstein trifft sich alles, besonders die Kulturprominenz, vereint bei Musik, Kaffee und Champagner. Klaustrophobisch angesiedelt auf einer schrill- schrägen Weltbühne im 2011 vollendeten Triptychon von Clemens Gröszer.

Eine Allegorie der Großstadt in dauerhafte Partystimmung. Udo Lindenberg, Posaunist Conny Bauer, Borchardt-Chef Roland Mary, Nina Hagen, Karl Lagerfeld, Volker Schlöndorff, Frank Castorf oder Peter-Klaus Schuster als Berliner Ex-Museumsimpresario sind hier zu Gast.

Sammlung von Werken der 1970er bis heute

Als künstlerischer Pate fungierte Otto Dix’ dreiteiliges „Großstadt“-Panoptikum, kurz vor der Weltwirtschaftskrise 1929 entstanden. Sie beendete den „Tanz auf dem Vulkan“ der roaring twenties, eine goldene, aber auch wüste Dekade deutscher Geschichte.

Hubertus Giebes „Nachtcafé“ aus den späten 1970ern präsentiert sich dagegen in blässlichen Tönen als verhaltener Treff von schweigsamen Intellektuellen mit Zigarette und Zeitung in einer Diktatur, die Abhörgeräte zu ihrer Ausrüstung zählte.

Das Kunstforum der Berliner Volksbank zeigt aus ihrer Sammlung mit Werken der 1970er bis heute auf, wie zwei Stilrichtungen der Weimarer Republik noch bis in die Gegenwart wirken.

An die sozialkritische Neue Sachlichkeit und den magischen Realismus mit surrealen Anklängen schloss in der DDR eine Generation von Künstlern an, die im Sinne der SED-Kulturpolitik zwar realistisch malten, den staatlich verordneten Sozialistischen Realismus aber unterliefen, indem sie kunsthistorische Vorbilder wieder aus der Versenkung holten, um unbehelligt Gesellschaftskritik zu üben.

Sie verwendeten nicht nur Motive der Neuen Sachlichkeit, sondern auch deren Detailrealismus und glatte lasierende Maltechnik, die auf die Alten Meister verwiesen.

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Wild waren die 1920er Jahre der Weimarer Republik allerdings, deren junge Demokratie nach dem Untergang des Kaiserreiches und einem verlorenen Krieg zwischen Tradition und Aufbruch stand. Sie begann mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, scharfe Klassengegensätze und soziale Ungerechtigkeiten prägten das Bild ebenso wie der heraufziehende Nationalsozialismus und eine rasante Blüte von Kunst und Kultur.

Collage Berliner Lebens

Der Vergnügungsbetrieb florierte, unter amerikanischen Einfluss wurde der Lebensstil freizügiger, die Frauen emanzipierten sich, trugen Bubikopf und Hosen statt Lockenpracht und lange Röcke. Mit der NS- Machtübernahme 1933 war dann der Rausch endgültig vorbei.

Roland Nicolaus, 1954 in Ost-Berlin geboren, entwarf eine Collage Berliner Lebens, das ohne Halt und Boden scheint. Statt wie Dix’ skatspielende Kriegskrüppel sind junge Aufsteiger mit modischem Bürstenhaarschnitt an einem Tisch mit dem Smartphone beschäftigt, darunter findet sich die Zeichentrickfigur des rosaroten Panthers als ein Emblem des NSU mit Hakenkreuz, ringsherum läuft das Amüsement von Jugendlichen mit Infantilisierungstendenz auf vollen Touren, am Horizont noch ein Stück der Mauer.

Wolfgang Peuker transponierte in seiner „Ruhe auf der Flucht“ ein biblisches Thema ins politisch Aktuelle. Zwei Frauen, kapuzenverhüllt und im schulterfreien blauen Abendkleid, werden auf einem Waldweg zurückgelassen von einem neuzeitlichen Josef, der sich nach dem Mauerfall mit Lendenschurz und Karnevalshut auf und davon macht in die verheißungsvolle Freiheit des Westens.

[Kunstforum der Berliner Volksbank, bis 13.12.; Kaiserdamm 105, Di bis So 10–18 Uhr]

Volker Stelzmanns Tafelbild-Serie „Fastnacht“ von 2004/05 zeigt vergnügungssüchtige Nachtschwärmer mit Masken, aschgrauer Haut und in schriller Aufmachung, isoliert voneinander in einem gesellschaftlichen Rollenspiel, das die eigene Identität nicht preisgeben will.

Neben der Commedia dell’arte, dem italienischen Manieristen und Dix wurden für Stelzmann – wie Giebe und Peuker Student an der Leipziger Hochschule für Buchkunst und Grafik – die eigene Beobachtung des Berliner Straßenlebens maßgeblich. Masken häufen sich mit ramponiertem Puppenspielzeug in einem Stillleben von Gudrun Brüne von 1996 an.

Die detailgenaue Malerei der Neuen Sachlichkeit ist noch bei der aus Bayern stammenden Britta von Willert präsent. Geboren 1980, studierte sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Sie widmete sich Clärchens Ballhaus, bereits in den 1920ern Kultlocation. Ihr Augenmerk gilt den Musikern und Kellnern, die unter einer meisterhaften Lichtregie bei Kerzenschein scheinbar lautlos agieren.

Flankiert wird die Schau von Fotografien Karl Lagerfelds. Der 2019 verstorbene Modezar ließ in den 1990ern Robert Wienes expressionistischen Stummfilm-Gruselklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von 1920 anhand von Aufnahmen in magischem Schwarz-Weiß mit ausgesuchten Modellen wieder auferstehen.

Angelika Leitzke

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