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Kultur: Kunst des Vandalismus: Kratzer auf der Haut der Großstadt

Nein", sagt die Sprecherin der BVG, "die Kosten für zerkratzte U-Bahnscheiben führen wir nicht als Einzelposten auf". Aber der Gesamtschaden, den kenne sie, der betrage einschließlich der Zerstörungen bei den Bussen und Straßenbahnen der BVG im Jahr etwa 16 Millionen Mark.

Nein", sagt die Sprecherin der BVG, "die Kosten für zerkratzte U-Bahnscheiben führen wir nicht als Einzelposten auf". Aber der Gesamtschaden, den kenne sie, der betrage einschließlich der Zerstörungen bei den Bussen und Straßenbahnen der BVG im Jahr etwa 16 Millionen Mark.

So viel Geld, sagt sich der Käufer eines Einzelfahrscheins, für nichts und wieder nichts. Und er sagt das resigniert, weil er weiß, dass das zwar viel Geld ist, aber wiederum auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Mit 12 Milliarden Mark subventionieren Länder und Kommunen in Deutschland den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) jedes Jahr. Da fallen die paar vollgeschmierten Sitze doch gar nicht ins Gewicht. Nur die Wut der Neoliberalen erstickt nicht in Resignation. Schließlich geht es ihnen nicht um das Geld. Ausgaben des ÖPNV für mutwillig zerstörte Ausstattung sind vielleicht hoch oder unnötig, sie sind aber vor allem eines: verhasste Quersubventionen. Wieder einmal werden hinter dem Rücken der Steuerzahler der Kunst und Kultur, ohnehin ein Kropf am gesunden Staatsleib, heimlich weitere finanzielle Mittel zugeführt. Zerrissene Sitzbezüge im Bus, Graffiti in der Tram als Kunst? Vandalismus als Kultur? Dass der Neoliberale recht hat, stellt zur Zeit gerade ein Künstler unter Beweis: in der Kulturbrauerei präsentiert Ottjörg A.C. zerkratze U-Bahn-Scheiben als Kunstwerke. Es sind ausschließlich Scheiben aus der Berliner U-7 und U-Bahnen in Zürich und Wien (Österreich ist ja wieder erlaubt), die der Hrdlicka-Schüler für die Ausstellung "Existentmale" zusammengesammelt hat.

Anders als das Graffiti, sagt Ottjörg A.C., sind diese Schabe- und Gravurtechniken "ein noch relativ junges Großstadtphänomen". Der Kunsthistoriker spricht vom "scratchen". "Was auf den ersten Blick wie wahllose Krakelei aussieht und als aggressive Form von Vandalismus geahndet wird, entpuppt sich bei systematischer Betrachtung als immer wiederkehrende Buchstaben- und Zahlenkombination." Scratching sei nicht nur ästhetisch interessant, sondern zudem als Kunst sozial relevant. Die U-Bahn-Scheibe sei das Ausdrucksmedium von Menschen, die hoffen, "wenigstens für kurze Zeit Aufmerksamkeit zu erregen", und dabei auch das Risiko "schwindelerregend hoher Geldstrafen" in Kauf nehmen. Für den Berliner Künstler, der im letzten Jahr in Peking eine Werkschau von "Wings und Windows" veranstaltet hat, steht fest: Scratching ist ein "Akt der Selbstbehauptung, aber auch der Selbstvergewisserung".

Um die künstlerischen Codes lesbar zu machen, benutzt Ottjörg die Scheiben als Druckstock. Großformtig und in Farbe stellt er dem gescratchten Original die abgezogene Radierung gegenüber. Ottjörg A.C. arbeitet an einer Serie von 1000 Radierungen, die auf den zerkratzten Scheiben aus zwölf internationalen Metropolen basieren.

Am Ende schlüsselt die BVG-Sprecherin die Zahlen doch ein wenig weiter auf: die Schäden in der U-Bahn, für Scheiben und den ganzen Rest, beliefen sich im Jahr auf ungefähr 9 Millionen Mark. Geld, das sich die BVG im nächsten Jahr aus dem Etat des Kultursenator erstatten lassen sollte.

mos

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