zum Hauptinhalt

Kunst: Geben, graben, gucken

Unterirdisch: Frankfurts Städel eröffnet seinen großartigen Neubau für Gegenwartskunst. Doch ohne den Bürgersinn der Frankfurter wäre er nicht zustande gekommen.

Der Aufstieg in den Frankfurter Bilderhimmel beginnt mit einem Abstieg, 36 Stufen in den Keller hinab. Das kam am Main zunächst nicht gut an. Ausgerechnet die Stadt der Bankentürme und auftrumpfenden postmodernen Musentempel sollte einen Museumsneubau bekommen, der nicht aufragt, sondern sich ins Erdreich duckt. Zum Glück blieb es trotz aller Unkenrufe dabei. Statt mit Bilbao-Effekt buhlt das Städel-Museum nun mit einer sich sanft wölbenden Wiese um die Aufmerksamkeit der Besucher. Umgeben von drei bereits vorhandenen Gebäudeteilen sind die knapp 200 eingelassenen Bullaugen deren einzige Besonderheit. Mehr ist von außen nicht zu sehen.

Frankfurt hat damit einen eigenen „grünen Hügel“, wie der Anbau für zeitgenössische Kunst bereits genannt wird. Doch nicht über, sondern unter ihm liegt das Reich der Künste. Wer vom historischen Entree aus die weit geschwungene Treppe in den neuen Trakt hinabsteigt, dem öffnet sich so viel lichter Raum, so viel inspirierende Großzügigkeit, dass sich die Frage nach Oben und Unten, räumlichen Hierarchien, architektonischem Imponiergehabe nicht mehr stellt. Vielmehr suggeriert die 3000 Quadratmeter große, auf zwölf Säulen ruhende Halle des Frankfurter Architektenduos schneider + schumacher dem Ankommenden, dass er dem Licht entgegenstrebt, so widersprüchlich es klingen mag.

Das ist das eine Paradox, mit dem das Städel ab diesem Wochenende kokettiert, wenn der Neubau dem Publikum übergeben wird, die fünfte und größte Erweiterung in der 200-jährigen Geschichte des Hauses. Willkommen in der Museumsarchitektur des 21. Jahrhunderts, die sich zweckdienlich gibt und doch starke eigene Akzente setzt. Die beiden Frankfurter Architekten haben das probeweise bereits in Berlin vorgeführt, wo sie die rote Infobox am Potsdamer Platz entwarfen. Das andere Paradox lautet: Willkommen in einem rundum sanierten Museum (18 Millionen Euro) mit zusätzlichem Anbau (34 Millionen Euro). Willkommen in einer innerhalb kürzester Zeit akquirierten Sammlung bester zeitgenössischer Kunst, deren Schätzwert erst gar nicht beziffert wird. Und all das in einer Zeit, wo andernorts der Museumsbetrieb eingeschränkt wird, weil das Budget nicht reicht, von Neuerwerbungen ganz zu schweigen.

Was in anderen großen deutschen Städten, in denen ebenfalls bedeutende Museen stehen, undenkbar wäre: In Frankfurt wurde das Geld für das 52-Millionen-Euro-Projekt zur Hälfte von den Bürgern zusammengebracht, die andere gab die öffentliche Hand. Vom Mini-Sponsor, der eines der knapp 4000 knallgelben Paar Gummistiefel als Werbeträger erwarb, bis hin zum big spender, der Millionen gab, engagierte sich eine ganze Stadt. Den Anfang machten die sieben Millionen Euro der Hertie-Stiftung, als der Finanzierungsplan noch längst nicht sicher war und der Zeitpunkt für die Kampagne denkbar schlecht erschien: kurz nach der Lehmann-Pleite im Herbst 2008, dem Anfang der Finanzkrise.

Doch am Ende bekam Direktor Max Hollein beides: sein neues Haus mitsamt Inhalt. Auch hier konnte das Städel auf die Freigiebigkeit anderer setzen. Ein Drittel der heutigen Sammlung zeitgenössischer Kunst stammt von der Deutschen Bank (600 Werke) sowie der DZ-Bank (220 Fotoarbeiten), die große Teile ihrer Firmensammlungen als Dauerleihgabe überließen; zwei Drittel sind Museumsbestand oder Schenkungen, wie etwa vom Städelkomitee 21. Jahrhundert, einem Förderkreis, dessen Mitglieder jährlich sechsstellige Beträge zahlen (100 Werke).

Die Zauberworte für diese Großzügigkeit nur zwanzig Jahre nach dem letzten Anbau und knapp zehn nach der letzten Kollekte für eine 22 Millionen Euro teure Renovierung lauten „Bürgerstolz“ und „Unser Städel“. Wie ein Magier wusste Max Hollein sie auszusprechen. Als studierter Kunsthistoriker ist der Sohn des österreichischen Architekten Hans Hollein zweifellos ein Mann der Kunst, als Betriebswirtschaftler mit Erfahrungen am New Yorker Guggenheim zugleich mit allen Wassern der Mittelakquise gewaschen. „Die Zukunft der Kultur liegt heute in der Hand vieler“, sagte der 43-Jährige bei der Eröffnung des neuen Städel-Trakts. Und doch ist in Frankfurt manches anders. Sein Haus geht auf eine Stiftung des 1816 verstorbenen Frankfurter Privatbankiers Johann Friedrich Städel zurück, der sein Vermögen und seine Sammlung „zum Besten hiesiger Stadt und Bürgerschaft“ hinterließ. Im Testament verfügte er die Gründung eines Museums sowie die Förderung junger Künstler. Direkt am Main – als erster Bau am späteren Museumsufer – entstand 1878 neben der nach ihm benannten Hochschule das Städelsche Kunstinstitut, das heute einen Parcours durch 700 Jahre Kunstgeschichte von Dürer, Cranach, Perugino bis in die Gegenwart bietet, insgesamt über 55 000 Werke.

Knapp zwei Jahre nachdem Hollein, der 2001 zunächst als Chef der Schirn-Kunsthalle nach Frankfurt geholt worden war, auch die Leitung von Städel und dem Skulpturenmuseum Liebieghaus übernommen hatte, besann sich der neue Direktor des einstigen Gründungsauftrags, immer auch zeitgenössisch zu sammeln. Was zu Zeiten des ersten großen Gönners noch die Nazarener waren, später die Impressionisten und Expressionisten, sind inzwischen Neo Rauch und Meese. Damit packte Hollein die heutigen Bänker der Stadt, die wohlhabenden Bürger, die selbst Kunst erwerben, an ihrem Portepee. Das Städel feiert nicht nur seine eigene Gegenwart, die Gebelust der Bürger, sondern auch den lebendigen Kunstsinn einer Stadt, die sich bereits ein eigenes Museum für Moderne Kunst auf der anderen Mainseite leistet – erbaut übrigens von Vater Hollein.

Die Ersteinrichtung des Anbaus für zeitgenössische Kunst in einer Ausstellungsarchitektur des Berliner Büros Kuehn/Malvezzi zeugt von dem neuen Selbstbewusstsein. Hier wird Kunstgeschichte nach 1945 gemäß der Tradition des Hauses vornehmlich anhand von Malerei – stark angereichert durch die Fotografie – weitererzählt als ein mäandernder Fluss, bei dem sich überraschende Begegnungen, Kohärenzen ergeben, die so bisher noch nicht gezeigt worden sind.

Ein Gemälde Emil Schumachers, dem großen Informel-Maler der Nachkriegszeit, mag da neben einer ungegenständlichen Fotografie Wolfgang Tillmans hängen, das endlich auch in Frankfurt gewürdigte Faltenwerk des DDR-Konstruktivisten Hermann Glöckner für die widerständige Kontinuität der Moderne stehen. Kurator Martin Engler bildet Korrespondenzen zwischen abstrakten und figurativen Tendenzen, ganzen Dezennien: Otto Freundlich, Beuys, Kippenberger, Olafur Eliasson, Gerhard Richter, sie befinden sich alle in dem großen Kontinuum. „Who will be in in ’99“ fragte Rosemarie Trockel 1988 noch keck in ihrem Strickbild à la Malewitsch. Das Städel hat für sie alle die Arme ausgebreitet.

Städel Museum, Frankfurt / Mai, ab 25. 2.; Katalog 35 €. www.staedelmuseum.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false