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Guckkasten auf Zeit. An der Ecke Adalbert- und Waldemarstraße hat der Künstler Delio Jasse angolanische Stadtansichten aus Luanda in einem steinernen Pavillon installiert.

© Sebastian Dudey

Kunst im öffentlichen Raum: Das kommt wieder weg

An die Präsenz von Denkmälern gewöhnt man sich schnell - und sieht sie gar nicht mehr. Der Kunstraum Kreuzberg macht jetzt die Vergänglichkeit zum Prinzip und zeigt „Open Monument“.

Nicht an allen Denkmälern entzünden sich Debatten wie zuletzt an Käthe Kollwitz’ bronzenem Kopf, auf dem, wenig hübsch, ein Batzen Spätzle landete. Oder an der East Side Gallery. Viele Reiterstandmale, Büsten und Brunnenfiguren sind eher ein Monument des Vergessens als des Erinnerns. Weil sie, je öfter man an ihnen vorbeigeht, desto unsichtbarer werden. Weil sie zum gefühlt immer schon dagewesenen Inventar einer Stadt gehören. Mit den Denkmälern, die nun in einem großen Umkreis um den Kunstraum Kreuzberg/Bethanien von elf Künstlern aufgestellt wurden, kann das nicht passieren. Sie werden verschwunden sein, ehe man sich an sie gewöhnt. Sie verfallen, wenn sie nicht vorher jemand kaputt gemacht hat. Sie sind unscheinbar, man muss sich auf die Suche nach ihnen machen.

Dabei hilft Kuratorin Marta Jecu, die das Projekt „Open Monument“ mit den temporären Arbeiten im öffentlichen Raum und einer dazugehörigen Ausstellung im Kunstraum initiiert hat. An einem Samstagnachmittag führt sie eine kleine Gruppe Interessierte zu den verschiedenen Orten und beginnt gleich am Ausgangspunkt Mariannenplatz. Vor dem Bethanien-Gebäude steht ein Bretterbau. Darin hat gerade einmal eine Tischtennisplatte Platz. Zwei junge Männer sind mit Schlägern und Ball vorbeigekommen, es macht ping, es macht pong im Holzverschlag. Der in Berlin lebende argentinische Künstler Matias Machado nennt ihn ein Erinnerungsstück an den vor drei Jahren verstorbenen Fritz Teufel. Die Ikone der Studentenbewegung aus der Kommune 1 lebte zuletzt zurückgezogen in Berlin, litt an Parkinson, und wer sich wie Machado mit ihm unterhalten wollte, musste eine Partie Tischtennis mit ihm spielen. Der Sport beruhigte den nervenkranken Mann. Als Reminiszenz daran ist nun diese Bude zu verstehen, zudem entspricht sie den originalen Maßen eines Zimmers in Teufels Wohnung und zugleich einem Raum in der des 1979 geborenen Künstlers, nur im Maßstab 1:10. So hat Machado sein Leben mit dem von Teufel verwoben. Es ist ein sehr persönliches Denkmal. Für nichts ahnende Passanten könnte es auch ein überdachter Spielplatz sein. Und nach Ausstellungsende ist es wieder weg, dann soll der Bau Teil eines Fritz-Teufel-Archivs werden.

Weiter geht es an die Ecke Adalbert- und Waldemarstraße. Künstler Delio Jasse ist noch nicht ganz fertig mit seiner Installation, als Kuratorin Marta Jecu mit ihrer Gruppe im Schlepptau stoppt. Er hämmert und bohrt. Acht Metallschienen hat der 33-Jährige in einem steinernen kubusartigen Pavillon an der Straßenecke montiert, darauf lassen sich Holzrahmen mit schwarz-weiß bedruckten, transparenten Diafolien hin- und herbewegen. Es sind Stadtansichten aus Luanda in Angola, der dank Ölfunden teuersten Stadt der Welt. Doch statt Reichtum zeigt Jasse die andere Seite seiner Heimatstadt. Er hat Fotos von Bauruinen auf Flohmärkten gefunden, die einst portugiesische Investoren in Auftrag gegeben haben, deren Vorhaben sich jedoch zerschlugen. Zurück bleiben bröckelnde Mauern, klaffende Lücken und aufragende Stahlbetonstümpfe inmitten von anderen hoch aufragenden Häusern.

Ein Kunstwerk von David Maranha im Yaam-Club hielt nur eine Nacht

Guckkasten auf Zeit. An der Ecke Adalbert- und Waldemarstraße hat der Künstler Delio Jasse angolanische Stadtansichten aus Luanda in einem steinernen Pavillon installiert.
Guckkasten auf Zeit. An der Ecke Adalbert- und Waldemarstraße hat der Künstler Delio Jasse angolanische Stadtansichten aus Luanda in einem steinernen Pavillon installiert.

© Sebastian Dudey

Zwei Radlerinnen halten an. „Ist das der Kotti?“, fragen sie Jasse und deuten auf ein Foto mit vergammelter Fassade. „Nein“, antwortet der Künstler, „das ist Luanda.“ Genau das will er mit seinem Guckkasten sich überblendender Bilderfolien. Dass Berlin und die südwestafrikanische Metropole eins werden. Und der ansonsten etwas verschwurbelte, theorielastige Ankündigungstext zu dieser Gruppenausstellung unter freiem Himmel wird auch eingelöst. Da heißt es, dass die temporären Denkmäler von Passanten neu und individuell interpretiert werden können.

Der Kotti, der spielt dann aber doch noch eine Rolle. In einem Beitrag von Sinta Werner, die findet, dass auch vermeintliche architektonische Schandflecken Aufmerksamkeit verdienen. Um ihre Arbeit „Mise en cadre“ zu verstehen, beginnt man am besten im Kunstraum Kreuzberg und der begleitenden Ausstellung. Denn dort hängen zwei Schwarz-Weiß-Fotografien, die Sinta Werner von jenem charakteristischen Gebäude gemacht hat, das die Adalbertstraße wie ein Riegel überspannt. Schräg von unten hat sie die Fassade mit den Satellitenschüsseln aufgenommen, mit dynamischen und stürzenden Linien. Doch wer genau hinsieht, erkennt, dass die Perspektiven nicht ganz stimmen können, die Kanten zu jäh abbrechen. In den Vordergrund hat sie ein Pappmodell der Architektur geschoben. Wer diese Attrappe finden will, muss ein bisschen suchen, denn sie steht nicht an jenem Ort, an dem Sinta Werner die Aufnahme gemacht hat, sondern ein paar Meter weiter, geschützt vor Angriffen in einer Ecke auf der Terrasse des Café Kotti, neben einer Sitzecke mit rauchenden und ahnungslosen Teetrinkern auf einem Fotostativ. Der Sockel ist der einzige Hinweis auf die Aktion. Das ist schade. Denn die Verdopplung, gar Verdreifachung von Fotografie, Modell und Original kann man so nicht mehr nachvollziehen. Und das erklärte Ziel der Ausstellung, die Denkmäler dem Verfall preiszugeben, weil es nicht um die Ewigkeit, sondern um den Moment und das Innehalten geht, wird auch nicht eingehalten.

Es muss ja nicht immer so schnell mit der Zerstörung gehen wie bei dem Kunstwerk des Portugiesen David Maranha. Der hatte auf dem Strandgelände des Yaam-Clubs gegenüber vom Ostbahnhof ein fossil anmutendes Holzskelett in den weichen Sand an der Spree gebuddelt. „Schon kaputt“, sagt Marta Jecu und zuckt hilflos die Schultern. „Nach einer Nacht.“ Die Gruppe schaut bedröppelt. Haben die Partygäste wohl nicht gemerkt, dass das Kunst ist.

Da erging es Nuno Sousa Vieira anders. Er hatte, wie schon zuvor in Lissabon, Sao Paolo oder London, Zeichnungen von sich überall in Berlin plakatiert. Auf einem schwarzen Untergrund prangte eine rechteckige weiße Form, darunter der Satz: „Ich würde gerne wissen, für wen ich diese Zeichnung gemacht habe.“ Viele haben die Blätter abgenommen, einige haben ihm gemailt. So wie Jan. Der schreibt am 2. Mai dem Künstler, dass er drei Plakate an der Axel-Springer-Straße entdeckt und sie mit nach Hause genommen hat, weil das Wetter gerade ganz garstig war und er die Kunstwerke schützen wollte. Sousa Vieira bat ihn, Fotos von der neuen Heimat seiner Zeichnungen zu schicken. Dieser Mailverkehr hängt ausgedruckt zusammen mit Aufnahmen von der Plakatierung in der Ausstellung. Das ist der Beweis: Es gibt ihn, den Dialog zwischen Kunstwerken im öffentlichen Raum und Öffentlichkeit.

Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2 und Umgebung, bis 16. Juni 2013, Informationen unter: www.kunstraumkreuzberg.de.

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