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Kultur: Kunst in Drewen: Ein Dorf steht auf dem Kopf

Ankommen in Werden - sorry, Drewen, einem gut hundert Kilometer nordwestlich von Berlin gelegenen Kunst-Dorf, wie es sich nennt. Da kann es schon einmal vorkommen, dass die Buchstaben der Ortsbezeichnung vertauscht werden und auf der einzigen Bushaltestelle in gelber Leuchtschrift Werden statt Drewen steht.

Ankommen in Werden - sorry, Drewen, einem gut hundert Kilometer nordwestlich von Berlin gelegenen Kunst-Dorf, wie es sich nennt. Da kann es schon einmal vorkommen, dass die Buchstaben der Ortsbezeichnung vertauscht werden und auf der einzigen Bushaltestelle in gelber Leuchtschrift Werden statt Drewen steht. Doch diese künstlerische Verfremdung ist nicht von Dauer. Zum achten Mal hat das Internationale Kunstforum Drewen e.V. zu den "Brandenburgischen Kunsttagen" geladen und 15 Künstler aus Holland, Belgien, Luxemburg und der Bundesrepublik um einen Beitrag gebeten. Die Amsterdamerin Hester Oerlemans ließ sich die neuen Sinn stiftenden Buchstabensalat auf dem Bushäuschen einfallen - in Anspielung auf die Jugendlichen des Ortes, die sich täglich in dem kleinen Holzverschlag treffen und darauf warten - ja, was wird.

Ebenso ist es um Drewen bestellt, das Kunstdorf in der Priegnitz, das niemals ist, sondern immer wird. Im 200 Jahre alten Tagelöhnerhaus sind ABM-Kräfte am Werk, um es denkmalgerecht in ein Kunstcafé zu verwandeln. Die Sanierung der gleich daneben gelegenen Feldstein-Kirche aus dem 13. Jahrhundert soll im nächsten Jahr in Angriff genommen werden; ein Museum steht ebenfalls auf der Wunschliste, um die im Laufe der vergangenen Jahre vor Ort geschaffenen Werke aufzunehmen. Angesichts solch überbordender Aktivität hat Christoph Tannert, Direktor des Berliner Künstlerhauses Bethanien und in diesem Jahr Kurator der Brandenburgischen Kunsttage, die Bremse gezogen und die von ihm eingeladenen Künstler vornehmlich um interaktive Arbeiten gebeten, die mit Ausstellungsende wieder verschwinden, um einer zunehmenden "Verkunstung" vorzubeugen.

Die Drewener selbst haben diese Einbeziehung offensichtlich begeistert aufgenommen. Zehn Jugendliche ließen sich bereitwillig von dem Amsterdamer Duo Saskia Janssen und George Korsmit in verschiedenen Formationen vor der malerischen Wand eines Holzschuppens fotografieren. Die daraus entstandene Dia-Show, untermalt von den Sommerhits der Kids, hat die Qualität einer Hommage an dörfliches Gemeinschaftsleben, einem Spannungsfeld zwischen Geborgenheit und Enge gerade für junge Leute. Ähnliches dürfte auch Jan Ruithuizen im Schilde geführt haben, als er das komplette Haus der Familie Kube mit einem Obstnetz überwarf. Der Familie Kube begegnet man übrigens im Tagelöhnerhaus noch einmal, wo Jasper van den Brink hinter einer gelben Theke sein "Flüssiges Bevölkerungsregister" vorstellt, für das er die Einwohnerschaft Drewens fotografierte und die Porträts anschließend zu Flaschenetiketten verarbeitete.

Nein, nein, nicht als Kritik etwa am zunehmenden Alkoholismus der Landbevölkerung (was hätten dann schließlich der abgelichtete Gartenzwerg und der Hund der Familie Becker dort zu suchen?) ist das gemeint, sondern als Appell zur Auflösung und Verflüssigung festgefügter Ordnungsschemata Kunst auf dem Dorf bezieht ihren besonderen Reiz durch die überraschende Begegnung zweier Sphären, die sich gegenseitig erhellen. Zwei ausgesprochen gelungene Beispiele stammen von Berliner Künstlern: Matten Vogel und Susanne Ruoff. Vogel platzierte vor die triste Putzfassade der ehemaligen Gemeindeverwaltung zwei Fassadenmuster mit violetten Kreisen und in Lindgrün. Sein vermeintlicher Verschönerungsvorschlag hält sich die Waage zwischen autonomem Wandbild und ironischer Intervention angesichts des um sich greifenden Modernisierungswahns. Ähnliches gelingt Susanne Ruoff, die über den gesamten Boden der Dorfkirche Moose breitete und den Altar komplett mit Äpfeln bedeckte. Unverhofft wird der sakrale Raum zum naturnahen Ort; Assoziationen vom Paradiesgärtlein oder die Geschichte der im Walde verborgenen Genoveva kommen in den Sinn. Zwar bleibt die Kirche im Dorf, aber weniger denn je scheint sie hier von dieser Welt.

Und auch das Kunstdorf bleibt nicht, wo es ist. In Richtung Neuruppin hat es seine weiteren Aktivitäten entwickelt. Dort soll in einer ehemaligen Maschinenhalle eine Kunsthalle entstehen. Der Berliner Künstler Via Lewandowsky und der Dichter Durs Grünbein geben mit einer Videoinstallation, die allein schon die Kunstreise in die Prignitz lohnt, den Startschuss für künftige Ausstellungen. In dem bereits vor anderthalb Jahren begründeten Kunstraum ist ab 15. September eine Ausstellung über den tschechischen Autor Bohumil Hrabal geplant, der seine Kindheit in der Neuruppiner Partnerstadt Nymburk verbrachte. Wie überhaupt das mehrfache Anreisen erforderlich ist, da die Brandenburgischen Kunsttage von etlichen Konzerten begleitet sind. Zur Ermunterung leuchtet dem Besucher dann frisch die gelbe Leuchtschrift auf der Bushaltestelle entgegen: Willkommen in Werden, Halt Drewen.

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