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Kultur: Kunst, Künstler, Schicksale

Als "schwarzes Schaf" der Familie ist sie oft genug bezeichnet worden.Peggy Guggenheim, die heute vor 100 Jahren in New York geboren wurde, lebte ihr eigenes Leben, setzte ihren Willen durch und - das hebt ihre Biographie über den Rahmen des Sittenbildes der amerikanischen upper ten hinaus - hinterließ ein Vermächtnis, das über die chronique scandaleuse längst hinausgeht.

Als "schwarzes Schaf" der Familie ist sie oft genug bezeichnet worden.Peggy Guggenheim, die heute vor 100 Jahren in New York geboren wurde, lebte ihr eigenes Leben, setzte ihren Willen durch und - das hebt ihre Biographie über den Rahmen des Sittenbildes der amerikanischen upper ten hinaus - hinterließ ein Vermächtnis, das über die chronique scandaleuse längst hinausgeht.Ihre weltberühmte Sammlung im nicht minder berühmten venezianischen Palazzo Venier dei Leoni gehört mittlerweile zum weltumspannenden Konglomerat, zu dem das Museum ihres Onkels Solomon in New York sich ausgewachsen hat.

Andererseits wird Peggy Guggenheims Privatsammlung - die sie selbst noch dem Publikumsverkehr geöffnet hat - dergestalt in reichem Maße zuteil, was sie den von ihr bevorzugten Künstlern immer verschaffen wollte: Öffentlichkeit.Der persönliche Geschmack der Sammlerin - bei dem die Vorliebe für die Kunst oder die für den Künstler nicht immer, oder besser: gerade nicht unterscheidbar sind - hat sich auf grandiose Weise als gültig bestätigt.Ob Max Ernst oder Jackson Pollock - "ihre" Künstler zählen zur Kernmannschaft der klassisch gewordenen Moderne.Und so ist es mitnichten eine bloß familiäre Aufmerksamkeit, wenn das New Yorker Guggenheim Museum Peggys Hundertsten derzeit mit einer Ausstellung unter ihrem Namen feiert.Vielmehr bekommt die Sammlerin im großen Museum des Onkels das, was sie verdient hat und wie es die Unterzeile des Ausstellungstitels besagt: "Eine Würdigung".Im Anschluß an die New Yorker Präsentation wird die Ausstellung ins venezianische Domizil wandern: eine triumphale Rück- und Heimkehr.

Heimgekommen war Peggy, wenn man so will, im Januar 1969, als ihre Sammlung im Museum von "Onkel Sol" gezeigt wurde und die Sammlerin endlich die verdiente Anerkennung fand.Bis dahin hatte ihr Lebenswandel im Mittelpunkt gestanden, der nun in der Tat aufregend genug war.Die Zahl ihrer Liebhaber ist Legion; die bunte Mischung aus gescheiterten Existenzen und begnadeten Künstlern tatsächlich einzigartig.Beklemmend ist allerdings auch die Fülle der Schicksalsschläge, vom Tod des Vaters mit der "Titanic" bis zum Selbstmord der Tochter.Die höhere Tochter, als die kein Geringerer als Franz Lenbach 1903 das Mädchen aus (neu-)reichem jüdischen Hause schweizer Herkunft gemalt hatte, bekämpfte ihren lebenslangen ennui mit der tagtäglichen Verachtung anerzogener Normen - und des Erwerbs- und Besitzstrebens, das ihre zahlreiche Verwandtschaft beherrschte.Gleichwohl erwies sie sich im Laufe der Zeit als gewiefte Haushälterin des ererbten, im Vergleich zu den Reichtümern der Verwandtschaft indessen schmalen Vermögens; zumal, als sie in Paris unter deutscher Besetzung zu Spottgeldern viele der späteren Glanzlichter ihrer Sammlung erwarb.

Kandinsky - den "Onkel Sol" zum Zentralgestirn seines eigenen "Museums der ungegenständlichen Kunst" machte, das heute seinen Namen trägt -, Max Ernst - mit dem sie eine unglückliche und nach dem Kriegseintritt der USA gar zur Ehe beförderte Liaison verband -, Yves Tanguy - den sie recht eigentlich entdeckte und mit dem es gleichermaßen Verwicklungen tragischen Ausmaßes gab - und der junge und ihr in seiner selbstzerstörerischen Psyche so verwandte Jackson Pollock: Das waren "ihre" wichtigsten Künstler.Sie förderte sie, erwarb ihre Werke, stellte sie aus und setzte sie durch; mehr, als der Blick auf das Skandalleben ahnen läßt.In New York betrieb Peggy Guggenheim zwischen 1942 und 1947 die Galerie "Art of this Century", die in ihrer Gestaltung durch den Emigranten Frederick Kiesler zum Mittelpunkt des "Surrealismus im Exil" wurde - und damit zu einem der Ursprungsorte des Abstrakten Expressionismus, der in der Nachkriegszeit zur beherrschenden Strömung heranwuchs.

Und wiederum steht Peggys Name an einer Wendemarke: der Durchsetzung der Nachkriegskunst im Nachkriegseuropa.Die Ausstellung ihrer Sammlung in Venedig 1948 riß die erlahmte Biennale mit einem Mal in die Gegenwart und begründete ihren, genau zwei Jahrzehnte bewahrten Ruf als dem wichtigsten Schaufenster der zeitgenössischen Kunst.Noch im Winter desselben Jahres 1948 erwarb Peggy den unvollendeten Palazzo, in dem sie fortan bis zu ihrem Tode am 23.Dezember 1979 hofhielt.

Die Kunst, die Peggy Guggenheim sammelte, gehört heute unstrittig zum Kanon der Klassischen Moderne.Die derzeitige Jubiläumsausstellung im Museum von "Onkel Sol" bestätigt ihr sicheres Auge und bewahrt mit mancherlei persönlichen Einsprengseln zugleich den privaten und bisweilen höchst eigenwilligen Charakter ihrer Sammlung.Sie sammelte nicht in erster Linie Kunst, sondern suchte Künstler.Vor allem aber fand sie - Schicksale.

New York, Guggenheim Museum, 1071 Fifth Avenue, bis 2.September.- Vom 29.September bis 10.Januar 1999 in Venedig, Peggy Guggenheim Collection, 701 Dorsoduro.Katalog 29,95 Dollar / 65 000 Lire.

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