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Kunst: Londoner Ausstellung entdeckt Design des Kalten Krieges

Die Form folgt der Angst: Lampenschirme, Lippenstifte und Bügeleisen waren einst Waffen auf dem Weg zum Wohlstand. Die Ausstellung "Cold War Modern" entdeckt das Design des Kalten Krieges - mit Schwerpunkt auf Berlin.

Mitten im Kalten Krieg kam es zu einer denkwürdigen Begegnung. Zwischen glänzenden Haushaltsgeräten trafen 1959 der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow und US-Vize Richard Nixon aufeinander. Mit der Amerikanischen Nationalausstellung in Moskau hatte sich nach Stalins Tod für einen kurzen Moment ein Fenster im Konflikt geöffnet. Die Kameras fingen ein, wie Nixon dem Genossen am Beispiel einer Einbauküche die Vorzüge des amerikanischen Kapitalismus erklärt. Doch Chruschtschow bleibt skeptisch. „Eure Häuser sind so gebaut, dass sie nur zwanzig Jahre halten“, blafft er, „wir bauen Häuser für unsere Enkel.“ Darauf Nixon: „Amerikanische Häuser halten viel länger. Aber nach zwanzig Jahren wollen viele Amerikaner neue Häuser und Küchen. Das ist das amerikanische System.“

Der Disput ging als Küchendebatte in die Geschichtsschreibung ein. In der Ausstellung „Cold War Modern“, die soeben im Londoner Victoria & Albert-Museum eröffnet wurde, steht er an zentraler Stelle. Tatsächlich hatten sich die politischen Führer an jenem Tag nicht etwa als Hausmänner positioniert. Sie hatten eine Parade der neuesten Waffen im Kampf um den richtigen Weg zu Wohlstand und Eigentum abgenommen: Lampenschirme, Lippenstifte, Bügeleisen, Eieruhren und Einbaumöbel. Wenn es eine Frontstadt dieses Kräftemessens gab, dann war es Berlin.

Daran lässt die von Jane Pavitt und David Crowley kuratierte Ausstellung keinen Zweifel. Sie beginnt mit den nuklearen Schockwellen, die nicht nur die Politik, sondern auch die Formenwelt der Nachkriegszeit erschütterten. „Die neueste Form der Menschheit ist die des atomaren Universums“, verkündete der italienische Künstler Enrico Baj in einem Manifest. Die nuclear art formte Worte und sogar menschliche Knochen zu atompilzartigen Gebilden. Le Corbusiers Entwurfsskizzen für eine unterirdische Kathedrale oder die von dem Architekten Paul Lazlo mit Einbauküche und Kaffeemaschine luxuriös ausgestatteten Bunkerhäuser sind Zeugnisse einer Architektur der Bedrohung, die im Angesicht der Vernichtungskraft der Atomwaffe heute ebenso beklemmend wie naiv erscheinen.

Als Labor wirkt der alles umwälzende Krieg weit über seine heiße Phase hinaus: Gerade das Möbeldesign bedient sich jener Techniken und Materialien, die im Flugzeugbau erprobt worden waren. Organische Kuppelformen aus der Radarabwehr prägen die Sitzkultur der Nachkriegsgesellschaft: Der Fiberglasstuhl des amerikanischen Gestalterpaares Charles und Ray Eames führt die ergonomische Schalenform ein. Das V&A-Museum präsentiert ihn gemeinsam mit dem berühmten Womb Chair von Eero Saarinen und den aufblasbaren Sitzblasen der Spätsechziger. Nicht zufällig sieht die vom italienischen Gestalter Gio Ponti geformte Corruta Coffee Machine von 1947 aus wie ein gewaltiger Flugzeugmotor und selbst die atemberaubend schönen Kurven der von Corradino D’Ascanio entworfenen Nachkriegsikone Vespa haben ihre Ursprünge im Militär: Der Hersteller Piaggio hatte vor dem Motorroller Bomber gebaut.

Neben diesen erwartbaren modernen Klassikern stehen ganz selbstverständlich die Visionen des Setdesigners Ken Adam, der für James Bond und Dr. Seltsam die schicksten Umsetzungen des Kalten Krieges entwarf. In der als Landhaus getarnten Kommandozentrale des Superschurken Goldfinger nimmt die Vision eines Krieges per Knopfdruck als edel furnierte Konsole Gestalt an. Dass Adam seine Phantasien der Realität abgeschaut hatte, beweist ein Werbefilm des Computerherstellers IBM, der die Forschung „für den Ernstfall“ propagiert: Auch das kühlschrankgroße Elektronenhirn SAGE, Ahnherr des modernen Home-Computers, diente dem Militär. Keiner entwarf so zeitlos schlichte Audiomöbel wie Braun-Designer Dieter Rams, den London gerade mit einer gesonderten „Post-War Plastics“-Retrospektive würdigt. Sein „Schneewittchensarg“ genannter Plattenspieler mit transparentem Deckel steht neben den bunten Computerkonsolen des Italieners Ettore Sottsass.

Mit ihren mehr als 300 Exponaten will die Ausstellung aber kein buntes Sammelsurium der Epoche sein, sondern die ideologische Herkunft der Dinge enthüllen. Die These von einer Moderne des Kalten Krieges zieht sich wie ein eiserner Faden durch die Auswahl. In den Wohnzimmern spiegelt sich dieser Kampf nur mittelbar wieder. Unter den Exponaten sind viele seltene oder völlig unbekannte Prototypen: etwa der polnische Fiberglassessel von 1961 oder Lubomir Tomaszewkis ergonomisch geformtes Kaffeeservice „Ina“, das in der Form Colani und in der Farbgebung Panton vorwegnimmt. Höhepunkt der Schau ist ein prächtig inszenierter Space-Age-Raum, beherrscht von einem meterhohen Raumschiffmodell, dessen Vorbildfunktion für die Formgebung von den raketenartigen Fernsehtürmen der sozialistischen Staaten bis zu den Astronautenkleidern von Paco Rabanne und Pierre Cardin überprüfbar wird.

Den Ausstellungsmachern geht es nicht nur um Kanonisierung, sondern um die große These. Der Titel „Cold War Modern“ betont die Frontstellung der Systeme und weitet den Epochenbegriff der Moderne bis weit in die Nachkriegszeit. Tatsächlich erinnern die technoiden Helme und Masken der Wiener Künstlergruppe Haus-Rucker-CO von 1969 frappierend an das Bauhausballett. Das Ziffernblattdesign von Max Bill und Otl Aichers Typografie folgen den klaren Linien der zwanziger Jahre, beide prägen die einflussreiche Ulmer Hochschule für Gestaltung. Sie besteht bis 1968, dem Jahr, in dem nach Ansicht vieler mit Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie der letzte Bau der klassischen Moderne entsteht – abermals in Berlin.

Das nächste Projekt ist bereits in Arbeit: „Postmodernism“, die für 2011 geplante Nachfolgeausstellung der Kuratorin Jane Pavitt, setzt Anfang der Siebziger ein. Eine Epochenzäsur, die sich in Frage stellen lässt, denn der Kalte Krieg ist 1968 noch nicht am Ende. Doch politisch bricht mit den Ost-Verträgen Tauwetter an. Die 68er verlagern derweil die Front zwischen den Systemen tief ins westliche Hinterland. Am Ende der Ausstellung hängt das Gemälde „American Interior“ des Künstlers Erró, das an die Fotos des Küchendisputs zwischen Nixon und Chruschtschow erinnert. Es zeigt ein bürgerliches Schlafzimmer in westlichem Schick, in das revolutionäre Partisanen mit roten Fahnen vorgerückt sind.

Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ausgerechnet das 1862 gegründete Victoria & Albert-Museum, lange Zeit eher als wunderliche Schatzkammer für die königlichen Gips-, Gold- und Porzellansammlungen bekannt, nun der Tate Modern als jugendliches Popmuseum Konkurrenz macht. Es ist bezeichnend, dass eine Ausstellung, die Berlin als heimlichen Nabel der Designkämpfe des 20. Jahrhunderts würdigt, in der quirligen europäischen Kunstmetropole entsteht – und das ist eben immer noch London.

Auf dem Kontinent wird „Cold War Modern“ immerhin in der europäischen Kulturhauptstadt Vilnius zu sehen sein, Frankfurt hat sein Interesse bereits wieder zurückgezogen, weil sich die großen Häuser am Main auf die schönen Künste beschränken. Eine Institution, die einen breiteren Kulturbegriff bedient, ist der Martin-Gropius-Bau. Im Interesse des Publikums wäre zu hoffen, dass die Präsentation einer der interessantesten Design-Ausstellungen der letzten Jahre nicht wieder einmal an den leeren Hauptstadtkassen scheitert. Denn wenn es eine Stadt in Europa gibt, die diese Ausstellung verdient, dann ist das Berlin.

London, Victoria & Albert Museum, South Kensington, bis 11. Januar, tgl. 10-17:35 Uhr. Katalog 24,99 Pfund.

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