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Nachtgestalten. Aquarellierte Monotypie von Ulrich Becher, zirka 1928.

© Rotes Antiquariat/Nachlass Ulrich Becher

Kunst: Männer machen Fehler

Wiederentdeckt: Der Berliner Schriftsteller und Maler Ulrich Becher wird mit einer Ausstellung und der Neuauflage seines Nachkriegsromanes Kurz nach 4" gewürdigt.

„Evviva il Duce“: Mit krächzender Stimme ahmt die Schauspielerin Agnes Dünneisen einen nicht ganz zeitgemäßen Papagei aus Ulrich Bechers Nachkriegsroman „Kurz nach 4“ nach. Ebenso plastisch erweckt sie dessen Wiener Protagonistin zum Leben, die im Dom von Parma plötzlich von ihrem früheren „Techtelmechtel“ angesprochen wird: Der Künstler Franz Zborowsky erkennt auf seiner Reise in die Vergangenheit die frühere Liebschaft aus Österreich – ein Zusammentreffen, das eher ein Missverständnis darstellt. Zu dieser Geschichte passt der österreichische Akzent der Dünneisen perfekt, die mit Bechers Sohn Martin Roda Becher und Arco-Verleger Christoph Haacker aus diesem Juwel des Berliner Autors liest.

Anlass ist die Eröffnung einer Bild- und Bücherausstellung im Roten Antiquariat mit Werken von Ulrich Becher. Der Laden zeigt zum ersten Mal den bildenden Künstler Ulrich Becher in dessen Vaterstadt Berlin. Die Zeichnungen und Drucke könnten vielfach als Doubletten von George Grosz’ ätzender Bürger- und Militaristenkritik in der Weimarer Republik durchgehen, so gekonnt setzte sein Schüler die Sicht auf Berlins Tag- und Nachtleben um: Boxkämpfe in düsteren Locations, der Berliner Spätstrich, eine markante Hitler-Mussolini-Karikatur, das junge Mädchen und der Reiche. Becher, 1910 geboren, besuchte die Freie Schulgemeinde Wickersdorf, wo ihn Peter Suhrkamp in Deutsch unterrichtete, war aber in Charlottenburg vor allem ein freier Schüler des großen Grosz, mit dem er in einem lebenslangen Briefwechsel stand, den der Lenos Verlag 1989 unter dem Titel "Flaschenpost. Geschichte einer Freundschaft" veröffentlichte.

Becher besaß eine echte Doppelbegabung: Mit 22 Jahren publizierte er bei Rowohlt seine Novellensammlung „Männer machen Fehler“ kurz vor dem durch die Nazis herbeigeführten Toresschluss des experimentierwütigen, freiheitsliebenden und avantgardistischen Berlin und ging nach Wien in ein erstes Exil, wo er die Tochter des berühmten satirischen Schriftstellers Roda Roda heiratete. Becher – aus wohlhabend-bürgerlichem Haus, der Vater war Rechtsanwalt (nicht verwandt mit Johannes R. Becher), die Mutter Pianistin aus der Schweiz – hatte noch Jura studiert, verfiel dann aber glücklicherweise aufs Schreiben und Malen.

Der Autor und Maler Ulrich Becher (1910-1990).
Der Autor und Maler Ulrich Becher (1910-1990).

© Kurt Wyss

Gegen das Vergessen hat der auf Mitteleuropäisches spezialisierte Wuppertaler Arco-Verlag „Kurz nach 4“ mit einem ausführlichen, illustrierten Nachwort von Christoph Haacker aufgelegt (224 Seiten, 20 €). Dieser 1957 erschienene frische Italien-Roman feiert nicht die Idylle der aufkommenden Wirtschaftswunderwelt mit ihrem organisierten Tourismus, sondern ist vielmehr das rare Beispiel eines Buches, das eine Traumaforschung und Erinnerungs- und Trauerarbeit unter der Decke der Unangepasstheit seines durch die Zeitläufte gebeutelten Künstlerhelden auf Italienreise liefert.

Exil, Spanienkrieg, Balkanmassaker der Wehrmacht, Nachkriegsamnesie und Kalte-Krieg-Spaltung kommen in dem Roman nicht als politische Thesenliteratur vor, sondern als erlebte, lebendige Gegenwartsprobleme. Als er ihn schrieb, war der Berliner in Österreich bereits ein Klassiker: Nach der Flucht von dem havarierenden Kontinent Europa nach Brasilien hatte der Exilant in den USA mit dem Piscator-Schauspieler Peter Preses das Stück „Der Bockerer“ über die Wurzeln des Faschismus in Österreich geschrieben, ein unübertroffenes, vielleicht nur noch vom „Herrn Karl“ seines engen Freundes Helmut Qualtinger sekundiertes Spiegelbild des Verhaltens der Alpenländler im Faschismus.

Im Roten Antiquariat sind nicht nur die Erstausgabe des „Bockerer“, sondern weitere Kostbarkeiten der Exilzeit anzustaunen, darunter ein in Rio de Janeiro entstandenes, signiertes und mit einem Originallinolschnitt illustriertes Typoskript von Bechers Moritat „Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde“. Drei Jahre verbrachte Becher mit seiner Frau Dana in Brasilien, schreibend und auf das Visum für die USA wartend. Wenig ist über die konkreten Umstände dieses Aufenthaltes bekannt, bevor der Schriftsteller in die USA reisen konnte, wo bereits seine Eltern Zuflucht gefunden hatten.

Nach der Rückkehr nach Europa eckte Becher weiter an, sowohl bei Exilanten, die plötzlich für die USA spielten, als auch bei denen, die allzu schnell vergaßen und sich im Besitz der allein selig machenden Lehre wähnten. Tiefe Furchen in der österreichischen Nachkriegsliteratur hinterließ Bechers Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Friedrich Torberg, der sich vehement gegen die linken fellow travellers wandte und erreichte, dass etwa das Werk Bertolt Brechts in Österreich für Jahre verboten blieb.

Dass Becher privat kein einfacher Mensch war, belegt ein Zitat aus den Erinnerungen des 1944 in New York geborenen Sohnes, der über die Zeiten des das Exil nur schwer hinter sich lassenden Vater schrieb: „Man musste aber meinem Vater vieles nachsehen, denn er war ein großer Schriftsteller. Das wurde mir von meiner Mutter immer wieder versichert ... Dass man einen großen Schriftsteller hätte verlassen können, wenn er sich als Lebenspartner und als Vater ungeeignet erwies, wäre ihr niemals in den Sinn gekommen.“

Rotes Antiquariat, Knesebeckstr. 13/14, Mo-Fr 12-19 Uhr, Sa 12-19 Uhr, bis 23. Mai

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