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Kultur: Kunst passiert im Kopf

Tausendundein Blatt Papier: Die Sammlung Marzona wird am Kulturforum ausgebreitet

Im Ausstellungskatalog gibt es ein Bild von Egidio Marzona: Es zeigt den Sammler mit Polohemd beim Angeln an einem See, im Mund eine geschwungene Pfeife. So sehen erfolgreiche Bilderfischer aus. Sie warten mit Stil und genießen dabei. Das Kupferstichkabinett hat jetzt noch einmal seine Netze ausgeleert, ein Konzentrat seiner Fischzüge in den vergangenen vierzig Jahren. Denn seit 2002 befindet sich das Beste der Sammlung Marzona in Berlin unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, aufgeteilt zwischen Kupferstichkabinett (Drucksachen), Kunstbibliothek (Papierarbeiten) und Hamburger Bahnhof (Skulpturen).

Damals hatten die Staatlichen Museen mit Hilfe der Bundeskulturstiftung 12 Millionen Euro investiert, um ein Drittel der rund 1000 Werke umfassenden Kollektion zu erwerben. Das zweite Drittel schenkte der Sammler in Gestalt seines Archivs, das 50 000 Einzelstücke zählt. Das letzte Drittel gab er als Dauerleihgabe hinzu, mit Laufzeit bis 2012. Dann zahlt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihre letzte Tranche.

Gleichzeitig winkt die Aussicht auf eine bemerkenswerte public-private partnership. Denn der deutschstämmige Sammler mit dem italienischen Namen kauft seit dem Deal mit der Stiftung in seinem Enthusiamus ungebrochen weiter und bietet nun das komplette Paket mit weiteren tausenden Positionen an. Als Gegenleistung für diese bemerkenswerte Gabe wird gerade an einem Luftschloss gebaut, in dem die bislang auf drei Häuser verteilte Sammlung Marzona ihre Wiedervereinigung erleben könnte: ein Archiv für das 20. Jahrhundert. Das Grundstück dafür gibt es sogar schon, eine Grünfläche im Zwickel zwischen Kunstbibliothek und Gemäldegalerie.

Ob das Traumhaus darauf jemals errichtet wird, nachdem gerade erst die Wolkenschlösser für den Neubau der Gemäldegalerie nahe der Museumsinsel in die Vorplanungsphase getreten sind, ist mehr als fraglich. Der 65-jährige Marzona ist das Warten gewohnt; vielleicht hat der Bilderfischer irgendwann einmal auch sein eigenes Berliner Kunsthaus am Haken. Die sehenswerte Schau in den Ausstellungshallen am Kulturforum, im Kupferstichkabinett sowie die Präsentation der riesigen Skulpturen von Ronald Bladen aus seinem Besitz in der Neuen Nationalgalerie weckt Gelüste auf eine baldige Realisierung seiner Ideen. Generaldirektor Peter-Klaus Schuster, der Mastervisionär für ein Kulturforum der Moderne, träumt schwelgerisch mit.

Schon vor fünf Jahren, kurz nach dem Ankauf, als der Hamburger Bahnhof einen ersten Überblick darüber gab, was die Staatlichen Museen von Marzona erworben hatten, war am erstaunlichsten die Fülle des Materials, die dieser auf Minimal-art, Konzeptkunst und Land-art spezialisierte Sammler emsig aus Künstlernachlässen und aufgelösten Galeriebeständen der Jahre 1965 bis 1975 zusammengetragen hatte. Alles schien da mit allem verknüpft: die Vorzeichnung mit dem ausgeführten Entwurf, die Einladungskarte und das Plakat mit dem Künstlerbuch. Darin besteht auch der Charme der neuesten Präsentation, dass sie den Kosmos einer künstlerischen Produktion, den gedanklichen Werdegang bis hin zur Ausstellung ausbreitet. „Based on Paper“ lautet beziehungsreich der Titel.

Wer bislang Minimal- und Konzeptkunst nur Sprödigkeit unterstellte, erlebt hier ihre lebensnahe, spontane, ja humorvolle Seite. Die sonstige Puristin Hanne Darboven schreibt auf dem Löschblatt eines gewöhnlichen Schulheftes als Vorlauf einige Zeilen an ihren Galeristen („Lieber Konrad“), die auf die Endloswortfolge „Schreibe Milano“ hinauslaufen. Das Heft selbst füllt sie dann Reihe um Reihe nur noch mit dem schwungvollen Bogen des Buchstabens M. Selten hat man ihre Sisyphosarbeit im Dienst des Minimalismus mit einer solchen Liebenswürdigkeit gesehen. Giulio Paolini reicht dem Betrachter ganz konkret die Hand sowie die Grundlage seines Schaffens, ein Blatt Papier. Auf eine Zeitschriftenwerbung mit der Darstellung eines Händepaars klebte er ein zerknülltes Millimeterpapier, zum Greifen nah. Zu den kuriosesten Objekten gehört ein Künstlerbuch von Ed Ruscha, das die Stationen seines „Royal Road Test“ aufführt. Der Künstler warf 1967 eine Schreibmaschine der Marke Royal unterwegs aus seinem Autofenster. Das in einfacher Spiralbindung zusammengefügte Heft zeigt die Stationen des nicht ganz ernst gemeinten Experiments. Mit wissenschaftlichem Eifer führt der Künstler auf den begleitenden Dokumentationsfotos die verschiedenen zertrümmerten Teile vor.

Der Ausstellung bedarf eines geduldigen Besuchers, der sich die verschiedenen Zusammenhänge erschließt, etwa jenes „Closed-Gallery-Piece“ von Robert Barry, eine Ausstellungseinladung von 1969, die auf die vollständige Schließung der Galerie während der Laufzeit verweist. Denn die Kunst passiert hier ausschließlich im Kopf. Dies Berliner Schau weckt die Lust, selbst in den Künstlerbüchern nachzublättern, die Papiere umzudrehen. Und plötzlich wird spürbar: Diese spröde Kunst ist springlebendig. Wie ein Fisch im Wasser.

Kulturforum, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, bis 6. Mai.

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