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Kultur: Kunst ruft nach Leid

Man kannte Thomas Strittmatter als Schilderer dörflicher Welten, in denen der Nationalsozialismus das karge bißchen Menschlichkeit zertrat, als Erfinder erdschwerer Gestalten."Viehjud Levi" oder "Polenweiher" hießen diese Stücke, mit denen er rasch in die Tradition von Horváth und Marieluise Fleißer geriet.

Man kannte Thomas Strittmatter als Schilderer dörflicher Welten, in denen der Nationalsozialismus das karge bißchen Menschlichkeit zertrat, als Erfinder erdschwerer Gestalten."Viehjud Levi" oder "Polenweiher" hießen diese Stücke, mit denen er rasch in die Tradition von Horváth und Marieluise Fleißer geriet.Aber die alltagsgeschichtliche Heimatkunde war gar nicht so sehr sein Ding.In der Folge gab er sich artifizieller, schuf eigenwillig poetische Bilder und symbolhafte Figuren - und geriet damit prompt aus dem Blick.Kein Großer, eher ein Stiller, schrieb er 1994 für Jan Schütte ein wunderschönes Filmskript: "Auf Wiedersehen Amerika".Bevor er zeigen konnte, wie tief womöglich seine stillen Wasser waren, starb er ein Jahr später, 33jährig, in Berlin.

So ganz anders als erwartet war 1986 auch "Gesualdo" - eine kleine, damals von keiner Bühne akzeptierte Etüde über Kunst und Leben, Macht und Gefühl, angesiedelt am beispielgebenden Ort, an einem italienischen Spätrenaissance-Hof wie Goethes "Tasso".Doch hat Strittmatter den bei Goethe nicht zu bewältigenden Idealkonflikt in eine Parabel von fast anakreontischer Heiterkeit aufgelöst, allerdings auch von entsprechender Glätte: Während sich die Hofkünstler - auch hier Tasso sowie Caravaggio und der Musiker Nenna - bei Knaben, Wein und dem Weib des Pächters Pinci daueramüsieren, übt Fürst Gesualdo still bei den Schafen das Lautenspiel.Er will die Kunst begreifen.Als er über Pinci, der aus Eifersucht seine Frau mißhandelt hat, zu Gericht sitzen soll, verurteilt er sich zur Überraschung aller selbst: Für ein Jahr will er dem hohlen Gesellschaftsleben in selbstgewählter Isolation entsagen, um seine Musik zu vervollkommnen - denn Kunst ruft nach Leid.Insofern ist "Gesualdo" ein Anti-"Tasso": Während die Hofkünstler ein zufriedenes Leben als Arabeske führen, beklagt der Fürst den Verfall der Autonomie der Kunst.Wird bei Goethe der nach Gesamtheit strebende Dichter auf seinen Platz, die ästhetische Existenz, verwiesen, will sich hier der Fürst gerade auf eine solche beschränken.

Doch die Flucht der Kunst vor dem Leben rächt sich: Gesualdos alleingelassene Gattin läßt sich mit dem Musikus ein.Sie bekommt ein Kind und der Eremit Wind davon.Als er übers Jahr aus der Zelle zurückkehrt, übt er Vergeltung - und Barmherzigkeit: Er verbannt das Liebespaar - und gibt vor, es getötet zu haben.Enttäuschung und Haß jedoch haben ihn in der Einsamkeit zu wunderschönen Kompositionen befähigt.(Man muß wissen, daß der historische Don Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, ein großer Madrigal-Komponist des 16./17.Jahrhunderts war, dem nachgesagt wurde, seine Gemahlin und deren Galan ermordet zu haben.)

"Gesualdos" Stärke ist die Sprache, die, für Strittmatter-Verhältnisse ungewöhnlich hell, über weite Strecken im Blankvers steht.Zwar besitzt das Stück die klassischen fünf Akte, doch bis auf den letzten perlen sie, ganz unklassisch, munter in Plauder- und Neckereien dahin.Mit der Leichtigkeit dieses Stücks, das die Überlegenheit einer milden Sittlichkeit über die Tyrannei der Leidenschaft, den Sieg eines dekadenten Laisser-faire über eine sich absolut setzende Kunst feiert, mit dieser etwas müden Heiterkeit kann die Uraufführung am Theater Dortmund wenig anfangen.Sie sperrt die Komödie ins Futur eines schwarzen Kastens, in dem weiße Linien wie ein Orwellsches Spinnennetz in den Fluchtpunkt ziehen, worin eine Band mit Namen "Engel wider Willen" sitzt - Sinnbild für die Kunst Gesualdos, doch nicht für das Anliegen des Stücks.Sie stammt aus München und veredelt Softrock mit gregorianisch anmutender Chromatik und Falsettgesang.So gewissermaßen hodenlos zeigt sich auch die ganze Inszenierung; das Wummern der Bässe ist noch das Körperlichste an ihr.Die Hebamme geht breitbeinig gebeugt, die Schwangere ißt Gurken, der Hofmusikus ist eitel, die Gattin von ungeweckter Glut, der schwule Maler ein Gemächtegrabscher.Jede Figur ist Dutzendware.Und Don Gesualdo, gleich ob ihn Lebensekel plagt, Leidenschaft schüttelt, ob er bitter oder großherzig ist - er zeigt in der Darstellung Thomas Dehlers das immergleiche artige Schwiegersohn-Gesicht.

Unsicher probiert die Inszenierung Wolfgang Trautweins mal die Sittenkritik - ein Mißverständnis des Stücks -, mal die Komödie der Irrungen und landet am Ende aufatmend beim Boulevard.Es ist verdienstvoll vom Theater Dortmund, Strittmatters kleinen, hinterlassenen Schatz endlich gehoben zu haben.Zum Funkeln bringen muß ihn jetzt ein anderes Haus.

ULRICH DEUTER

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