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KUNST Stücke: Alles leuchtet

Jens Hinrichsen lässt sich vom Glanz der Oberflächen faszinieren.

Nichts Gutes kommt in diesen Tagen aus Mexiko. Denkt man. Bis uns der mexikanische Künstler Bosco Sodi eines Besseren belehrt. Neben anderen stark farbigen Arbeiten zeigt die Galerie Kai Hilgemann (Zimmerstraße 90/91, bis 20. Juni) sein aus sechs Elementen montiertes Großformat „Organic Blue“ (125 000 €). Von der Arbeit an diesem Bild gibt es ein Video, das in der Ausstellung ab Juni gezeigt werden soll. Im Arbeitsprozess war das Werkstück noch waagerecht platziert, Sodi – von oben bis unten mit blauer Farbe getränkt – hat die Fläche allover bearbeitet. Ein Action Painter, der sich dennoch weniger am Berserkertum abstrakter Expressionisten orientiert denn an der meditativen Ruhe eines Mark Rothko. Verwendung finden Sägespäne, Holzfasern, Leim, Eisenspäne und Pigmente – vorzugsweise natürliche Farbstoffe wie Cochinilla, die kanarische Schildlaus, deren Rot die vulkanisch glühenden, kleineren Formate der Ausstellung (4000–20 000 €) leuchten lässt. „Organic Blue“ aber ist eine in Ultramarin bis Violett strahlende Meereslandschaft. Der Trocknungsprozess lässt stellenweise sandfarbene Schichten hervorbrechen wie aus dem Wasser auftauchende Sandstrände. Schön. Vielleicht eine Spur zu unschuldig. Von den spirituellen Höhenflügen eines Antoni Tapies, den Bosco Sodi bewundert, ist der 39-jährige Mexikaner aber noch weit entfernt

Tödliche Luftfracht: „Little Boy“ stürzte auf Hiroshima, „Fat Man“ zerriss drei Tage später Nagasaki. Als Nachbau im Maßstab 1:1 sieht die zweite über Japan abgeworfene Atombombe fast niedlich aus. Der spanische Künstler Iñigo Manglano-Ovalle lässt die mit weißem Epoxydharz lackierte Megawaffe an einem Krangestell herabhängen. Die Galerie Thomas Schulte (Charlottenstraße 24, bis 20. Juni) mutiert zur Werkhalle. Getrocknete Lehmspritzer auf der weiß glänzenden „Karosserie“ – auch dies eine Art Sudelmalerei – lösen ein paradoxes Gefühl von Ärger aus, vergleichbar mit der Reaktion auf Kratzer in edlem Autolack. Wie schon zu seinem Documenta-Auftritt mit „Phantom Truck“, dem Nachbau eines mobilen Waffenlabors, spielt Manglano-Ovalle mit der schicken Oberfläche des Schrecklichen. Massenvernichtungswaffendesigner sind auch Ästheten. Neben der Installation „Untitled (Bomb)“ (185 000 $) ist das schwarzweiße Video „Juggernaut“ zu sehen (5er-Edition, je 60 000 $). Die Kamera schwebt über einem Salzsee in Mexiko, plötzlich verengt ein schattenhafter Truck den Blick auf die spiegelnde Fläche. Dank eines geschickten Schnitts scheint das militärisch anmutende Gefährt hunderte Meter lang zu sein – was nicht wenig an den finsteren, endlosen Raumschiffleib im ersten „Star Wars“-Film erinnert. Auch hier halten sich Faszination und Schrecken die Waage. Endlich rollt doch das letzte Räderpaar aus dem Bild. Der Spuk scheint vorbei, die Landschaft glänzt .

Jens Hinrichsen

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