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KUNST Stücke: Falscher Hase

Jens Hinrichsen wundert sich über Stimmungsschwankungen.

Es war einmal ein Kind ohne Vater und Mutter, erzählt die Großmutter. Weil auf der Erde niemand mehr war, wollte das Kind in den Himmel gehen. Aber der Mond entpuppte sich als faules Stück Holz, „und wie es zur Sonn kam, war’s ein verwelkt Sonneblum“. Trostlos sind in Georg Büchners „Woyzeck“ sogar die Gutenacht-Geschichten. Die inszenierten Fotos von Roger Ballen wirken wie Illustrationen dieser unbeseelten Himmelshölle. In der Galerie Johnen (Schillingstraße 31, bis 21. März) sind Abzüge seiner neuen Serie „Boarding House“ zu sehen, 20 Bildquadrate vom 6x6-Negativ, tonwertreich vergrößert nach allen Regeln der Schwarzweißkunst (Preise auf Anfrage). Doch wie bedrückend ist dieser Blick in die hermetische Welt des fotografischen Fremdenheims. Funzliges Licht. Ein blasses Surrogat des Firmaments bietet das Stillleben mit trockener Sonnenblume und einem zur schmutzigen Wolke drapierten Schlüpfer. Vereinzelt tauchen Menschen auf, selten sieht man mehr als ihre Hände und Arme, die wie vom Körper abgespalten wirken. Roger Ballen, 1950 in New York geboren, lebt seit 30 Jahren in Südafrika und fotografiert vor allem die Tristesse der Landbevölkerung. Seine Verschmelzung von Dokumentation und poetischer Materialcollage gelingt nicht immer, zuweilen liegt die Kunstanstrengung bleiern auf den Bildern. Heute wird der Fotograf in der Galerie (11–18 Uhr) sein – um den Fotoband „Boarding House“ zu signieren.

Zur Gemütsaufhellung empfiehlt sich ein Abstecher in die Galerie Barbara Wien (Linienstraße 158, bis 18. April). Die Fotografien, Filme, Collagen und Zeichnungen der 1965 in Frankfurt am Main geborenen Künstlerin Eva von Platen revoltieren gegen grauen Alltag und drückende Enge. Vor allem in den Zeichnungen und Collagen funkeln die Pointen und irrlichtert der absurde Witz (100–800 Euro). Kulturgrößen aller Zeiten geben sich ein Stelldichein, wobei Siegmund Freud, Michael Jackson oder der Vulkanier Spock willig als Werbeträger für Supermarktketten agieren. Johann Sebastian Bach rührt ebenfalls die Werbetrommel. In der Hand hält er kein frisch komponiertes Lied, sondern ein „Lidl“-Logo. Aus Wurst- und Fleischthekenreklame werden niedliche Tiere collagiert. So springt ein im Wortsinn falscher Hase übers Blatt. „Hasi“ heißt auch ein 15-minütiger Film, in dem Mann, Frau und Kind im Kaninchenfell eine ganz normale Nagerfamilie verkörpern. Wenn sich die Eltern gestritten haben, träumt sich Vater Hase schon mal auf den Hochsitz zum Jäger, der auf die Häsin zielt und doch bloß Löcher in ihre Einkaufstüten schießt. „Hasi“ ist Teil eines skurrilen Filmprogramms auf DVD und integriert in das Buch „20 Jahre kurz filmen“, das Texte und Filmstills enthält und 32 Euro kostet.

Jens Hinrichsen

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