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KUNST Stücke: Könnte sein

Was wäre passiert, wenn im Kalten Krieg doch noch jemand den roten Knopf gedrückt hätte? In seinem neuen Film „The Dud Effect“ rückt Deimantas Narkevicius ins Bild, was sich Zivilisten nicht vorstellen können oder wollen: Der Filmkünstler lässt einen ehemaligen Offizier vor der Kamera Nuklearkrieg spielen, in einer aufgegebenen sowjetischen Raketenstation in Litauen.

Was wäre passiert, wenn im Kalten Krieg doch noch jemand den roten Knopf gedrückt hätte? In seinem neuen Film „The Dud Effect“ rückt Deimantas Narkevicius ins Bild, was sich Zivilisten nicht vorstellen können oder wollen: Der Filmkünstler lässt einen ehemaligen Offizier vor der Kamera Nuklearkrieg spielen, in einer aufgegebenen sowjetischen Raketenstation in Litauen. Und siehe da: Den berüchtigten roten Knopf, den gab es gar nicht. Der Offizier hakt an einem Pult Listen ab, greift zum Telefon, fragt Befehle ab und gibt sie weiter in ein Standmikrofon. So banal hätte der Heiße Krieg begonnen. „The Dud Effect“ („Der Blindgänger-Effekt“, 2008) ist anspruchsvolles Re-Enactment: Mit diesem Film zeigt sich Narkevicius, Teilnehmer der „Skulpturen.Projekte Münster 2007“ und nun fest im Programm der Galerie Barbara Weiss, erneut als unkonventioneller Historiker, der erstklassige Zeitzeugen findet und ihre Aussagen mit Archivmaterial und Ansichten verwaister Räume zu dichten Erzählungen kombiniert. So ermöglicht er Erinnerungen an verdrängte Zeiten und Ideen – und regt den Betrachter dazu an, sich Alternativen zum tatsächlichen Geschehen vorzustellen. Seine Kraft gewinnt „The Dud Effect“ aus der Fallhöhe zwischen Erwartung und Realität sowie zwischen dem Absolutheitsanspruch der alten Blockpolitik und ihrer Vergänglichkeit: Melancholisch verhangene Bilder zeigen, wie die Bunker und unterirdischen Gänge der Raketenstation heute in einem Naturpark vor sich hin rotten. Mit ähnlichen Gegensätzen spielt der kurze 16-Millimeterfilm „Europa 54°54'' - 25°29''“ von 1997, die zweite Arbeit der Ausstellung. Sie führt, zum geografischen Zentrum Europas. Mit wenig Worten und vielen Bildern bringt Narkevicius Aufklärung und Romantik zusammen (bis 20. Dezember, Zimmerstr. 88-89).

Mehr mit Worten als mit Bildern verführt Joao Penalva dazu, anderer Leute Träume zu träumen. Auf eine kleine Leinwand werfen Dias weiß auf schwarz die Worte einer pensionierten Insektenforscherin, die ihren Alptraum von einer Motte schildert. Auf einer zweiten Leinwand sind alte Filmaufnahmen zu sehen, von einem stark vergrößerten Kopf einer Motte (28 500 Euro). Das Monster wackelt mit seinen Fühlern – mehr passiert nicht. Alles andere entsteht vor dem geistigen Auge des Zuschauers: Wie die Wissenschaftlerin auch davon träumt, mit ihrem Mann am Ufer des Neva spazieren zu gehen, wie sie dort eine Kinderzeichnung findet. Penalva, der ehemalige Theatermann, Tänzer und Maler aus London, erweist sich wieder einmal als der geschickte Erzähler, als den ihn die Galerie Volker Diehl in Berlin oft präsentiert hat, bevor er nun zu Thomas Schulte gewechselt ist. „Pavlina“ (2007) ist weniger komplex als frühere Videoinstallationen, doch auch sie ermöglicht dem Betrachter über die Bilder, die die Erzählung in ihm auslöst, Aufschluss über sich selbst. Den gleichen Effekt bewirken Penalvas sieben große Schwarzweißfoto von einem Schnellweg in Japan (3er-Auflage, 12 500 pro Bild). Unter den Aufnahmen von der brutalen Architektur sind kurze Geschichten zu lesen. Sie alle handeln von verpassten Möglichkeiten. Was wäre gewesen, wenn das junge Paar stehen geblieben und jene Dame, die da in Tränen ausbrach, getröstet hätte? Nur zu gern malt man sich hier, ganz anders als bei Narkevicius, einen anderen als den vorgegebenen Fortgang der Geschichte aus (bis 23. Dezember, Charlottenstr. 24).

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