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KUNST Stücke: Mächtige Mädchen

Jens Hinrichsen trifft auf Giganten und andere seltsame Sippen

Mit Oma ist nicht zu spaßen, und auch der Titel der Videoarbeit trügt: Lullaby. Die Kaminzimmerkulisse wirkt zu eng, um wirklich gemütlich zu sein. Enkelin und Großmutter tragen Masken, ein weißes und ein schwarzes Kleid – wie Personifikationen von Yin und Yang. Die Alte singt ein Wiegenlied, das Kind erwacht, kämpft und zwingt die Großmutter zu Boden. Umgekehrt säuselt und liebkost jetzt die Jüngere, bis die Alte grob wird. In der LoockGalerie zeigt die Japanerin Miwa Yanagi ihre Variationen zum Thema Generationenkluft und -harmonie ( 7500–12 000 Euro). Im Kraftzentrum steht die Serie Windswept Women: The Old Girl’s Troupe, die schon auf der jüngsten Biennale in Venedig zu sehen war. Es sind fünf riesige Fotoporträts von Göttinnen, die Yanagi in überdimensionierten Aufstellrahmen präsentiert. Der Galeriebesucher meint sich auf der Kommode einer Gigantenfamilie wiederzufinden. Auf den Fotos zerstampfen die mächtigen Mädels archaische Landschaften, schütteln ihre Mähnen und schwenken ihre prallen Brüste. Wuchtige Bilder, auf denen Jugend und Alter zu Hybriden verschmelzen. Einen Raum weiter zeigt Miwa Yanagi die Serie My Grandmothers: Hier inszeniert die Künstlerin junge Frauen so, wie sie sich ein erfülltes Leben im Alter vorstellen (Invalidenstraße 50/51, bis 17. April).

Mit Wunschwelten hat die Malerei von George Condo nichts zu schaffen. Der 1957 geborene US-Amerikaner malt erbarmungswürdige bis abstoßende Figuren, mit denen man nicht verwandt sein möchte. Bereits 1984, als er sich mit den Jungen Wilden Kölns anfreundete, stellte der Maler seine Gemälde bei Monika Sprüth aus. Condos neue Family Portraits in der Galerie Sprüth Magers beweisen, dass seine zwischen altmeisterlichem Porträt und Karikatur irrlichternden Bilder nichts an Wahnwitz eingebüßt haben (150 000–300 000 $). Als wäre Velásquez nach einer kräftigen Dosis LSD zu Werke gegangen, grinsen vier wie aus Plastillin geformte Gestalten aus der Dunkelheit heraus. Ihre Zahnreihen leuchten wie mit Phosphor behandelt. Drei weitere Porträts bilden eine ähnlich zusammenhängende Reihe: Darkness, Young Girl und The Puerto Rican kreuzen Picasssos analytischen Kubismus mit den Materialexperimenten der Abstrakten Expressionisten. Dabei veralbert Condo die Methoden der Moderne nicht. Es ist eher so, dass der Maler sich mit großer Kunstfertigkeit einem recht erbärmlichen Sujet widmet: dem heutigen Menschen, wie er selbst die Spezies sieht – blöd, eitel, erkenntnisunfähig. Surreale Meisterwerke zwischen James Ensor, Francis Bacon und Walt Disney sind auch Gruppenbildnisse wie The Concierge and His Family. Wäre die Sippe nicht gemalt, würde man dem armen Haufen ein paar Euro hinwerfen (Oranienburger Straße 8, bis 1. April).

Jens Hinrichsen

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