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KUNST Stücke: Missmaß

Simone Reber beobachtet Künstlerinnen beim Kampf gegen die Vollkommenheit.

Wer will schon ein perfektes Leben? Kalkuliert, abgezirkelt und rigiden Regeln unterworfen. Die georgische Künstlerin Thea Djordjadze sucht ein Gegengewicht zu Harmonie und Perfektion. Jenen vermeintlichen Makel, der als Schönheitsfleck das Ebenmaß erst zur Geltung bringt. In der Galerie Sprüth Magers (Oranienburger Straße 18, bis 7. November) hat die ehemalige Schülerin von Rosemarie Trockel einen Meditationsraum gebaut. Eine offene Konstruktion aus dunklen Leisten, die man betreten kann. Wie das Bruchstück eines Hauses, das nicht zwischen verborgenem Privatem und Öffentlichem unterscheidet und ein wenig an japanische Architektur erinnert (45 000 Euro). Minimalistische Skulptur, Tempel oder Nomadenbehausung. Das blaue Bett unterstreicht den Eindruck der Stille. Darauf aber liegt ein handgeknüpfter Teppich – organisches Material zwischen minimalistischen Konstruktionen. Doch Thea Djordjadze geht noch einen Schritt weiter. Mit der Hand hat sie einen Klumpen Gips geformt. Ein plumpes Element, Körper ohne eigene Gestalt. Ein Produkt des Instinktes. Robust meldet das Leben einen Anspruch an auf seinen Platz in der Kunst. Unordentlich und unkalkulierbar. Erst das geknetete Chaos nebenan lässt die Geradlinigkeit schön erscheinen .

Auch die Gemälde von Tomma Abts wirken auf den ersten Blick still und ausgeglichen. Die Turner-Preisträgerin von 2006 poliert in ihrer Malerei kristalline Formen, bis am Ende jeder Makel eliminiert ist. Sie schleift die Bildoberflächen, bis sie lupenrein erscheinen wie ein Diamant. Doch auch Tomma Abts geht weiter: Die Künstlerin übertreibt die Perfektion, bis ihre Bilder nicht mehr funkeln, sondern sich geheimnisvoll hinter gedämpften Farben und einer stumpfen Oberfläche verbergen. Die Galerie Giti Nourbakhsch (Kurfürstenstraße 12, bis 31. Oktober) zeigt in einer glasklaren, luftigen Ausstellung nicht nur Malerei, sondern auch Zeichnungen. Die Gemälde (je 75 000 Euro) halten sich wie immer an das Porträtformat von 48 mal 38 Zentimetern. Sie tragen friesische Namen wie die Künstlerin selbst, heißen „Leeko“, „Koes“, „Deke“ oder „Hemko“ und treten tatsächlich als unterschiedliche Charaktere auf. „Leeko“ futuristisch aufwärts strebend, „Koes“ wie ein dunkler Sonnenaufgang. Bei Tomma Abts liegen die Utopien des vergangenen Jahrhunderts unter Schichten aus Öl und Acryl verborgen. Nur „Menk“ tanzt aus der Reihe - dem Bild fehlt eine Ecke. In den leichten, hellen Zeichnungen lässt sich das ungewöhnliches Raumgefühl von Tomma Abts erkennen (12 000 Euro je Arbeit). Unentwegt wechselt ihr Stift zwischen Linie und Körper, wirft die Gesetze der Geometrie über Bord und erschafft völlig neue Formen. Im Kern sind diese Dreiecke und Geraden Produkte der Phantasie. So unterläuft Tomma Abts die Gefahr der Perfektion, indem sie die Vollkommenheit auf die Spitze treibt.

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